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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Bescheiden hub er an: »Freuen wir uns vielleicht nicht ein bißchen zu früh, Sepp?« Er nahm ein wenig Kraut, ein wenig Kartoffel und ein wenig Fleisch auf die Gabel, das gab Haltung, und fuhr bedächtig fort: »Schön, die Schweiz hat sich aufgerafft, zu protestieren. Die Schweiz hat schon mehrmals protestiert. Sie hat protestiert wegen der Milliarden, die sie dem Reich geliehen hat. Die Nazi geben ihr die Milliarden ohne Krieg nicht zurück.Krieg kann die Schweiz keinen führen, sie hat es bei dem Protest bewenden lassen. Glaubst du, sie wird für Friedrich Benjamin weiter gehen? Und da die Nazi wissen, daß sie nicht weiter gehen kann, warum sollten sie Friedrich Benjamin ausliefern? Aus Moral?«
    Hanns verstummte. Er hatte an sich gehalten, hatte ruhig gesprochen. Ein bißchen klopfte ihm das Herz, aber er war mit sich zufrieden.
    Sepp Trautwein hatte seinem Sohn, sowie der zu sprechen begonnen, den knochigen Kopf zugewandt, betroffen, ruckartig. Wohl hatte sich Hanns zuweilen mit ihm in politische Debatten eingelassen, aber das waren dann Diskussionen allgemeiner Art gewesen. Es war das erstemal, daß er ihm in einer einzelnen, bestimmten Sache unmißverständlich widersprach; überdies hatte er, Sepp, sein Herz an diesen Fall gehängt. Es traf ihn tief, daß nun auch der Bub, wie Tschernigg, die Sache Benjamin für verloren zu halten schien und seine, Trautweins, Bemühungen für sinnlos.
    Sepps lebendiges Gesicht spiegelte jede Regung wider. Betreten, traurig eher als zornig, beschaute er seinen Sohn. Bisher hatte er, ohne sich darüber viele Gedanken zu machen, angenommen, Hanns teile seine eigene Zuversicht, sein eigenes Vertrauen in den Sieg der Vernunft, und die bedächtige Fröhlichkeit des Buben hatte ihn in dieser Meinung bestärkt. Da aber saß nun sein Hanns und schaute ihn an, keineswegs gläubig, sondern prüfend, neugierig, wie einen, der eine kuriose und lächerlich falsche Ansicht vertritt, sagen wir’s geradeheraus: wie einen, der spinnt. Wohl hatte er Hanns schon seit geraumer Zeit wie einen Erwachsenen behandelt: doch jetzt zum erstenmal mußte er erleben, daß sein Bub auch die Rechte eines Erwachsenen in Anspruch nahm. So ein Lauser, fluchte er in seinem Innern. Aber hinter diesem Fluch war Panik.
    Er schickte sich an, Hanns zu erwidern. Er nahm sich vor, nichts von seinem Unmut laut werden zu lassen. Allein wie er seine Gefühle in Worte übersetzen wollte, schlug seineTrauer immer mehr in Zorn um. Bei Mozarts, dachte er grimmig, sagten sie: »Nach dem lieben Gott kommt gleich der Papa.« Schön, ich bin kein Mozart. Aber besser seh ich doch, was los ist, als der Bub. Die Schweiz hat fünf Millionen Einwohner und Deutschland fünfundsechzig. Richtig. Aber gerade das ist es ja. Die Entrüstung der Welt hat die kleine Schweiz so mutig gemacht, daß sie gegen den mächtigen Nachbarn aufbegehrt. David hat sich Goliath gestellt. Er, Sepp Trautwein, ist stolz darauf, daß er da ein wenig mitgeholfen, daß er dazu beigetragen hat, dieser Entrüstung der Welt Stimme zu geben. Sein Hanns aber hat für diesen offenbaren Erfolg nichts als ein Achselzucken. Was ist das für eine Jugend? Sepp Trautwein konnte sich nicht länger zähmen. Laut und bitter sagte er: »Was ist das für eine Jugend, die auf Goliath setzt und nicht auf David?«
    Hanns führte den Bissen zum Mund, den er aufgespießt hatte. Ja, es hat seine Vorteile, eine solche Unterhaltung beim Essen zu führen, man hat eine ganz andere Ruhe. »Der Goliath«, antwortete er dann, »den David erschlug, war schlecht bewaffnet. Unsere heutigen Goliaths haben zwar auch nicht viel Verstand, aber sie setzen sich in Tanks, auch wenn es nur gegen einen David geht. Die Schweiz hat die Sympathien der Welt für sich, das Reich hat ungeheuer viele Tanks und Flugzeuge. Wir alle«, und er sprach mit Wärme, »wären glücklich, wenn das Recht und die Schweiz siegten. Aber wir sind nicht blind gegen die Tanks und die Flugzeuge, wir haben unsere Zweifel. Ein kleiner Staat, der, bewaffnet mit nichts als mit einem Handbuch des Völkerrechts, gegen die Reichswehr antritt, sag doch selber, Sepp«, und er hob, ohne den Satz zu vollenden, die Achseln und ließ sie ausdruckslos fallen. »Was wir anstreben«, schloß er, »das ist, daß die gute Sache nicht nur die Sympathie der Anständigen, sondern auch die Tanks für sich hat.«
    Es fiel Trautwein schwer, Hanns nicht zu unterbrechen. »Wir«, sagte der, und dieses Wir, das waren offenbar die Gewaltanbeter, die

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