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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Kommunisten. Der Saubub, dachte er immervon neuem, und sein Inneres umwölkte sich. Gestern noch schien ihm sein Hanns ein Kind. Hätte man ihn gefragt, was wohl die größte Sehnsucht dieses Hanns sei, dann hätte er geantwortet: das Segelboot, das in München futsch gegangen ist. Und heut hockt der gleiche Hanns gelassen da und erklärt pfeilgrad, das, woran der Vater sein Leben hängt, das sei Bockmist.
    Sepp Trautwein steht auf. Er möchte sich eine Pfeife anzünden, vergißt es gleich wieder und steckt sich eine neue Zigarette an. Er möchte auf und ab gehen, aber das hilft auch nichts, das vermehrt nur seine Unruhe. Er setzt sich wieder, diesmal in den ramponierten Wachstuchsessel. Er hat sich zuwenig um Hanns gekümmert, nun ist ihm der über den Kopf gewachsen, ist von ihm abgefallen. Wird er ihn zurückholen können? Wird er ihn davon überzeugen können, daß er nicht »spinnt«? Ja, denkt er voll Bitterkeit, wenn er sich ans Klavier setzen könnte und spielen. Durch Kunst kann man sich verständigen, so verschieden man sein mag. Allein Hanns hört Musik im besten Fall so, wie jeder andere sie hört, der gerade von der Straße kommt; mehr, Tieferes, hört er nicht heraus.
    Laut werden ließ Sepp nichts von dem Aufruhr in seinem Innern, weder Trauer noch Zorn. Die Gesetztheit seines Buben half ihm. Er wollte sich den Abend nicht verderben lassen, nicht den Geburtstag und nicht die Freude an seinem Erfolg. Nur immer gemütlich, sagte er sich und setzte sich wieder an den Tisch, zu der Nachspeise, die Anna mittlerweile bereitet hatte. Mit den Händen zerteilte er die Schmalznudeln – sie schmeckten nicht, wenn man sie mit der Gabel aß – und erwiderte seinem Sohn. »Ohne Zuversicht«, meinte er, »kann man keine Politik machen. Wer nicht an den Endsieg glaubt, ist von vornherein verloren. Bis jetzt, und gerade in der Sache Benjamin«, trumpfte er mit ruhiger Ironie auf, »scheinen ja die Zuversichtlichen recht behalten zu haben. Wenn man vor acht Tagen gefragt hätte, wird die Schweiz sich wehren, dann hätten neun unter zehn geantwortet: ›Ach was, sie wird es machen wie alle andern. Sie wird auch diese deutsche Unverschämtheiteinstecken. Sie wird, wie alle, vor der Faust der Nazi den Schwanz einkneifen.‹ Hat sie ihn eingekniffen?«
    Hanns hört höflich und aufmerksam zu. Aussichtslos, denkt er, einen Schmarrn, denkt er, qu’est-ce que tu chantes là? denkt er. Aber gleichzeitig befiehlt er sich: Nicht das Maul aufreißen. »Ich kann mir nicht vorstellen«, sagte er schließlich auf seine bedächtige Art, »daß diejenigen, welche die Macht in Händen haben, sie wieder hergeben, wenn man ihnen nur gut zuredet und sie nicht mit Gewalt dazu zwingt. Gegen die Gewalt kommt man nicht mit Überredung auf, sondern nur wieder mit Gewalt. Ich finde übrigens«, entschloß er sich, freimütig zu bekennen, »Gewalt ist gar nicht so schlimm. Schlimm ist sie nur, wenn sie für schlechte Zwecke eingesetzt wird.«
    Beinahe erschrak Trautwein, daß sein Sohn jetzt die gleichen Reden führte wie Harry Meisel. Er erinnerte sich des Ausspruchs eines Kollegen, des Kapellmeisters Hans von Bülow, eines ihm immer besonders unsympathischen Satzes: »Großes kann man ohne Diktatur nicht erreichen.« Fernher dämmerte ihm, daß seine Welt vielleicht endgültig versunken sei und daß er sich in diesem Heute nicht mehr zurechtfinde. Auch hörte er aus den Worten Hannsens die Andeutung heraus, er begnüge sich, die Nazi mit leerem Geschwafel zu bekämpfen, und dieser Anwurf kränkte ihn bitter. Zwar sagte er sich auch diesmal, es wäre klüger, mit Hanns so ruhig zu reden, wie der selber sprach. Aber die Vorstellung, sein eigenes Tun sei sinnlos, traf ihn zu tief; so ein Lauser, klang es von neuem in seinem Innern. »Du findest also«, resümierte er scharf, »da wir Emigranten über keinerlei Machtmittel verfügen, sollten wir besser den Kampf überhaupt aufgeben. Wir sollten, findest du, uns nur mehr um unsere privaten Dinge kümmern und vor den Nazi kapitulieren.« Streitbar sah er auf den Sohn.
    Der blieb gemütlich wie bisher. »Nein«, antwortete er, »nein, Sepp, das finde ich ganz und gar nicht. Ich glaube bloß das eine nicht, daß man mit den Nadelstichen, die ihr den Faschisten versetzt, etwas erreicht. Dadurch verzettelt manhöchstens die eigene Kraft.« Vorsichtig jetzt, nicht zuviel sagen und nicht zuwenig. Nicht bekehren, wiederholte er sich Vater Merkles Richtlinien, verwerten. »Natürlich wünsche ich

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