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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hatte, setzte sich ans Klavier. Er improvisierte eine Geburtstagskantate. Er fühlte sich gut in Form, die Musik, die er machte, war heiter, geistreich, parodistisch, sie beschäftigte sich, ihn frotzelnd, mit seinem klugen Hanns, und es war eigentlich schade, daß der sie nicht verstand und ihre Qualität nicht zu würdigen wußte.
    Ausgerutscht, Hochwürden, dachte er, während er spielte. Es war nicht ganz klar, wen er damit meinte, Hanns, der ihm seine Zuversicht anknabbern wollte, oder die Nazi oder das Schicksal, das bösartigerweise versucht hatte, ihm seine Freude an der Schweizer Note und dem Geburtstag seines Buben zu verhunzen. Er läßt sich aber nichts verhunzen. Die Sache Benjamin ist gut. Er vernachlässigt seine Musik für die Sache, er nimmt es in Kauf, daß sein Hanns ihn einen Trottel schimpft, die Sache kostet ihn verdammt viel. Merkwürdig geht es zu in seiner Biographie. Erst treibt ihn seine Musik in die Politik, dann verhindert ihn diese Politik, sich mit seiner Musik zu befassen, und jetzt kostet sie ihn auch noch denGlauben seines Sohnes. Da soll es einem nicht stinken. Herrgottsaxen. Merde. Halblaut vor sich hin flucht er münchnerische und französische Flüche.
    Da er einmal im Fluchen ist, flucht er weiter. Dieser Benjamin, dieses Fritzchen, dieser Hundsknochen, der ist an allem schuld. Aber es geht ja nicht um Fritzchen, es geht um das Prinzip. Und dieses Prinzip ist großartig. Und er hat halt nun einmal seine Zuversicht, und die läßt er sich von niemand abkaufen. Und trotzdem. Quand même, denkt er, quand même, er denkt es französisch, es klingt gut französisch, er hört das helle, schmetternde ê von même.
    Und jetzt ändert sich auch seine Musik. Er schlägt das Thema an, das ihm gekommen ist, als Tschernigg ihm seine Verse vorlas, damals, im Café Zur guten Hoffnung. Er spielt die paar Takte, er variiert sie. Sein Gesicht hat sich verändert, er schaut jetzt finster drein und gleichwohl triumphierend, verbissen, zornig, zuversichtlich. Ja, das ist die richtige Musik, das ist der Siegesjubel, der durch den Untergang durchklingt, das ist jenes »Stirb und werde«, das ist das, was sie heute in Moskau »tragischen Optimismus« nennen, das ist der Sinn der Emigration. Es ist eine freche Musik, trotzig, schneidend, siegesbewußt, es ist eine Musik aus jenem Gefühl heraus, die Männer auf dem Schafott schreien macht: es lebe die Revolution. Sie müssen zahlen, die Männer, für diesen Schrei. Es ist ein kostspieliger Luxus, sich ein Leben zu leisten, das in diesem Schrei endet. Es ist überhaupt ein kostspieliger Luxus, anständig zu sein, der kostspieligste, den es gibt. Quand même.
    Die andern sind fertig und kommen ins Zimmer zurück. Sepp Trautwein sieht nach der Wanduhr, der aus München geretteten, die er besonders liebt. Es ist leider Zeit. Er muß fort. Mit einem kleinen Seufzer steht er auf, hatscht durchs Zimmer, nimmt Mantel und Hut. »Schade, daß ich schon auf die Redaktion muß«, sagte er.
    Anna hat gut zugehört, während Sepp spielte. Wenn sie auch vielleicht nicht jede Einzelheit erkannt hat, sie hat begriffen,worum es ihm ging, und ihr ist warm geworden bei seiner Musik. Mit leiser Bewegung rührt sie ihm den Arm. »Ja«, sagt sie, »es ist schade, daß du fortmußt.« Zärtlichkeit und Zorn gehen ihr durcheinander. Dieser Sepp, dieser unbegreifliche Mensch. Er liebt seine Musik, er kann so viel, und da läuft er hin auf seine alberne Redaktion und schindet sich ab mit lauter Zeug, das er nicht versteht.
    Sepp ist noch ganz erfüllt von dem Gespräch mit Hanns. Schon im Mantel, mit seinem schnellen, ungelenken Schritt, tappt er nochmals zu ihm. »Na, Hannsel«, sagt er und legt ihm die Hand auf die Schulter. Und mit einem verlegenen, breiten, fast entschuldigenden Lächeln fügt er hinzu: »›Wir irren allesamt, nur jeder irrt anders.‹ Das ist ein großartiges Wort. Es ist leider nicht von mir, es ist von Beethoven. Aber stimmen tut’s, nicht nur für die Musiker. Und es war doch ein netter Geburtstag«, sagt er noch, eigensinnig. »Stimmt’s, Hannsel?« Und er geht.
12
Einer riecht die Heimat im Exil
    Obwohl Anna ihn jetzt besser zu begreifen schien, ganz so, wie er es sich vorgestellt, war das Fest nicht ausgefallen, das er sich zu Ehren der Schweizer Note hatte geben wollen. Er brauchte, der sanguinische Mann, mehr Teilnahme und Bestätigung. Er schickte einen Rohrpostbrief in die Emigrantenbaracke und lud Tschernigg und Harry Meisel zum Mittagessen in

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