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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Gesicht lachend, mit seinem großartigen Geschenk, und Hanns und Anna waren verblüfft.
    Hanns wog das Ding in der Hand, betreten, zwiespältigen Gefühls, das ganze Antlitz überrötet. Es kostete ihn Mühe, die Freude zu bezeigen, die Sepp mit Recht von ihm erwarten durfte. Dieses Geschenk stört ihn mehr, als es ihn freut. Es kommt ihm in die Quer. Er hat beschlossen, bei erster Gelegenheit den Rat des Buchbinders zu befolgen und seinem Vater mit List und Tücke die Volksfront zu suggerieren. Daß er sich jetzt so großartig benimmt, irritiert ihn und macht ihm sein Vorhaben nicht leichter.
    Um sich in Ruhe zu sammeln und um nicht viel reden zu müssen, setzt er sich gleich hin und würdigt das Geschenk. Er beschäftigt sich mit dem Mikroskop, untersucht es von allen Seiten. Betrachtet einen Wassertropfen, sieht ihn sich wandeln in eine Welt wimmelnder Lebewesen. Doch der geheimnisvolleReiz, den eine solche Betrachtung ehemals für ihn gehabt hat, ist fort. Das Mikroskop ist ihm zu einem bloßen Spielzeug geworden, und daß er so beflissen hineinschaut, geschieht nur, um Sepp zu ehren.
    Seine Gedanken sind weit ab von dem, was das Mikroskop ihm zeigt. Er weiß Bescheid, was so ein Ding kosten kann. Der unpraktische Sepp hat sicher seine Vier- bis Fünfhundert dafür angelegt. Wieviel Arbeit Sepps, wieviel Arbeit der Mutter steckt in diesem Geschenk. Was alles an drängendem Bedarf könnte man dafür kaufen. Hanns war bewegt, fast beschämt. Doch fast noch mehr war er verärgert. Man fragt einen doch vorher, was es sein soll, ehe man soviel Geld hinausschmeißt. Aber so war Sepp. Mit seinem blöden, altmodischen Taktgefühl.
    Übrigens ist es wahrscheinlich nicht allein wegen des Geburtstags, daß Sepp sich so angestrengt hat. Wahrscheinlich ist es wegen dieser Schweizer Note. Sicher sieht Sepp, mit seiner ewigen rosa Brille, darin einen Triumph, ein erstklassiges politisches Ereignis. Dann wäre das Mikroskop ein Bestechungsversuch: Sepp will ihm seine eigene Freude und seine eigene Meinung suggerieren. Um so einen winzigen Sieg wahrzunehmen, braucht es allerdings ein Mikroskop.
    Er wird jetzt schon fuchtig, wenn er an die großen Töne denkt, die Sepp von sich geben wird. Aber diesmal braucht Hanns nicht das Maul zu halten. Fein ist es ja gerade nicht, was er mit Sepp vorhat. Wenn man’s genau nimmt, ist es direkt unfein. »Hinterfotzig« ist es, das ist das gute bayrische Wort dafür. Er will ihn nicht bekehren, er will ihn »verwerten«. Ist es vielleicht fair, den eigenen Vater zu »verwerten«? Es geschieht natürlich in Sepps eigenem Interesse, und politisch ist es auch. Aber fair ist es nicht, fein ist es nicht, hinterfotzig ist es.
    Leicht wird es auch nicht sein. Er redet am liebsten gradheraus, und wenn er sich nicht richtig aussprechen darf, wenn er die Hälfte von dem, was er zu sagen hat, hinunterschlucken muß, dann wird ihm unbehaglich.
    Er starrt in das Mikroskop, er sieht die wimmelnde Welt im Wassertropfen. Man wird nicht immer dahin gestellt, wo man gerne möchte. Man muß sich da bewähren, wo man hingestellt ist. Bestimmt, und noch heute, wird Sepp wieder von seinem Fall Benjamin anfangen. Hanns hat seine Richtlinien. Er hat seinen Auftrag. Er wird ihn erfüllen.
    Des Abends saß man in dem vollgestopften Raum beim Geburtstagsmahl. Der Tisch war klein, das Geschirr dürftig, aber was es gab, war gut. Anna hatte sich angestrengt. Freilich ging es ihr mehr darum, Sepps Erfolg, die Schweizer Note, zu feiern als Hannsens Geburtstag, und es gab also eher Sepps Lieblingsgerichte als Hannsens. Anna hatte vor allem verschiedene Arten von Würsten zusammengeholt, wie Sepp sie gerne aß, und sie hatte die Zutaten so zubereitet, wie er sie liebte, Kartoffelsalat, verschiedenes Kraut, Püree. Leider merkte Sepp wenig von der Aufmerksamkeit und Bemühung. Er sagte nur beiläufig: »Choucroute Alsacienne nennen sie’s hier. Die Münchner Würste sind halt doch besser.« Übrigens ließ er sich die Pariser Würste nicht schlecht schmecken.
    Dann, wie Hanns erwartet hatte, verbreitete er sich glücklich, großartig und vielwortig über den neuen Erfolg in der Sache Benjamin.
    Hannsens Augenblick war da. Er dachte daran, daß er in den ersten Schulklassen, wenn er vor einer schwierigen Aufgabe stand, rasch noch ein Vaterunser gebetet hatte. Jetzt richtete er statt dessen das innere Aug scharf auf Vater Merkles Richtlinien und befahl sich, nicht hitzig zu werden und nicht unnötig das Maul aufzureißen.

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