Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
hat als Recht und Moral, dann ist man gelackmeiert und soll keine Politik machen.
In ihren Tiefen also glaubte sie, Hanns habe recht. Aber sie liebte Sepp, sie merkte, daß Hannsens Unglaube an ihm fraß, sie mißbilligte es, daß Hanns sich erlaubte, mit Sepp zu »streiten«. Etwas von ihrer Stimmung von heute nachmittag kehrte in sie zurück, etwas von ihrer Freude, daß Sepp gegen sie recht behalten hatte. Es kam ihr gelegen, daß Sepp ein Argument vorbrachte, das auch ihrem Verstand einging. Was er nämlich da gesagt hatte, daß noch vor wenigen Tagen kein Mensch angenommen habe, die Schweiz werde sich rühren, und daß sie sich nun doch gerührt hatte, das stimmte, das gab den Ausschlag, das gab Hoffnung, die ganze Geschichte werde trotz allem gut ausgehen.
»Was Sepp da vorhin gesagt hat, das stimmt«, springt sie also Sepp bei, ihre klingende Stimme ist ungewohnt lebhaft, ihr ganzes breites Gesicht strahlt von Liebe und von Glauben an den Mann. »Niemand hätte es für möglich gehalten, daß man eine solche Note schicken wird. Und nachdem ihr das geschafft habt, werdet ihr den Rest auch noch schaffen. Wenn irgendein Sinn in den Dingen ist, werdet ihr es schaffen.«
Daß Anna, die sich so sehr für seine Musik und gegen seine Politik ins Zeug gelegt hatte, ihm beipflichtete, machteSepp warm. »Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte er, es klang abschließend. Er war froh, daß ihr Eingreifen ihm eine Äußerung zu Hannsens Lobrede auf die Gewalt ersparte.
Auch Hanns war es im Grunde recht, daß die Mutter sich eingemischt hatte. Er hat Stellung bezogen, hat Minen vorgetrieben, hat Bresche gelegt. Daß Sepp sich auf Anhieb ergeben werde, hat er nie erwarten können. Für heute hat er genug erreicht. Er ist zäh und wird schon nicht lockerlassen.
Er muß dem Vater noch was Nettes sagen. Der hat sich so angestrengt mit dem Mikroskop. Er stand also auf, ging hinüber zu Sepp und legte dem Sitzenden etwas unbeholfen den Arm um die Schulter. »Nichts für ungut, Sepp«, sagte er, über und über rot. Aber darüber hinaus fiel ihm nichts Rechtes ein; sie hatten beide, er und der Vater, Angst vor Sentimentalitäten. »Über Politik hat halt jeder seine eigene Meinung«, sagte er und, mit einem schwunglosen Versuch, zu scherzen: »Das ist doch die Demokratie, von der ihr soviel hermacht.« Und ehe Sepp erwidern konnte, geschäftig, wandte er sich an Anna: »So, Mutter, jetzt bring ich den Abfluß in Ordnung, und dann spülen wir das Geschirr ab.«
Die beiden gingen in das Badezimmer, das auch als Küche dienen mußte. Geschirrabwaschen ist keine besonders unterhaltsame Beschäftigung, dennoch freut sich Anna darauf; man kann dabei vertrauliche Dinge sagen, die man sonst schwer über die Lippen brächte. Man sieht einander nur halb, man redet halb vor sich hin und doch für den andern, und die triviale Arbeit, die gleichwohl Aufmerksamkeit verlangt, hält einen davon ab, sentimental zu werden. »Hör mal, Hanns«, sagte sie, »warst du nicht ein bißchen grob und gradaus zu Vater? Er hat es nicht leicht, wir sollten es ihm nicht noch schwerer machen.« Hanns erwidert irgend etwas freundlich Ausweichendes. Anna trocknet ihre Teller und dringt nicht weiter in ihn. »Mit dem Mikroskop«, fährt sie fort, »hat Sepp auch nicht das Richtige getroffen, scheint es. Er hat heute kein Glück bei dir«, lacht sie. »Nein«, gibt Hanns zu, »für das Mikroskop habe ich jetzt wirklich nicht mehr viel Interesse.«Wenn sie nur nicht beide, Sepp und die Mutter, so furchtbar gutmütig wären, dadurch machen sie einem alles nur schwerer. »Ich bring das Ding zurück«, verkündet er. »Verkitschen kann ich es auf alle Fälle wieder; du weißt, ich habe da eine glückliche Hand. Dann kauf ich mir Bücher für das Geld, und was übrigbleibt, kriegst du.« – »Unsinn, Hanns«, erwidert sie. »Jetzt, seitdem Sepp bei den ›P. N.‹ ist, habe ich Luft.« – »Wenn ich nur endlich das Examen hinter mir hätte«, meint er, »daß ich Zeit frei kriege, Stunden zu geben. Ich möchte auch einmal ein paar Sous zusteuern.« – »Quatsch nicht, mein Junge«, sagt sie, »halt dir den Kopf frei für deine Arbeit.« Sie nennt ihn »Junge«, und Sepp nennt ihn »Bub«. In seiner Kinderzeit war das ein Problem für Hanns, daß er für Vater und Mutter ein verschiedener war. Jetzt weiß er, daß Bub und Junge gehüpft wie gesprungen ist und daß beide keine Ahnung von ihrem Hanns haben.
Sepp währenddes, nachdem er noch eine kleine Weile sinniert
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