Existenz

ging. Wir haben Neuland betreten , begriff Gerald.
    »Genau! Also …« Akana blinzelte. »Oh, ich verstehe. Wenn man ein Hochgeschwindigkeitsgeschoss abfeuert, das eine Weile braucht, um sein Ziel zu erreichen … Dadurch bekommt der Schütze Zeit, in Deckung zu gehen, bevor jemand aufmerksam wird und das Feuer erwidert. Bei einem Laser ist das nicht möglich.«
    »Kommt darauf an, ob jemand Radar verwendet …«, wandte Gennadi ein, schüttelte dann aber den Kopf und ließ es dabei bewenden.
    »Warum überhaupt der Kampf?«, fragte Dr. Tshombe. »Worum geht es eigentlich?«
    »Sie meinen, abgesehen davon, einige Milliarden Erdlinge zu Tode zu erschrecken?«, fragte Emily mit vibrierender Stimme.
    Oder das schwachsinnige Gerede über einen Schwindel zu beenden , dachte Gerald mit bitterer Zufriedenheit. Ein Opfer war die Glaubwürdigkeit von Hamish Brookeman und seiner Unterstützer. Tja, sic transit gloria .
    Der hawaiianische Anthropologe Ben Flannery zeigte auf das Objekt, das Gerald aus dem All geholt hatte – vor einer Ewigkeit, wie es schien – und auf dem jetzt ein dickes schwarzes Tuch lag. Die Aufzeichnungstechniker waren fortgeschickt und das Licht gelöscht worden. Die Kommissionsmitglieder vertraten die Ansicht, dass es dann und wann notwendig war, dem Artefakt eine Lektion zu erteilen.
    »Wir wussten bereits, dass es unterschiedliche Fraktionen gibt. Maschinen, die mit unserem Artefakt in Verbindung stehen – von derselben interstellaren Abstammung –, haben sich vielleicht Sorgen gemacht, als andere Arten mit Signalen Aufmerksamkeit zu erringen versuchten. Dann kamen Berichte von der Erde, aus denen hervorging, dass Sonden losgeschickt werden sollten, um andere Botschafter von den Sternen zu holen. Damit war gewissermaßen die Grenze überschritten. Die Vettern unseres Artefakts griffen ein und machten sich daran, die Konkurrenz physisch aus dem Weg zu räumen.
    Was zu Vergeltung führte. Ein Friede beziehungsweise Waffenstillstand, der Äonen dauerte, fand ein plötzliches Ende.«
    »Um was zu erreichen?«, fragte Emily.
    »Um das wertvollste Gut im ganzen Sonnensystem zu bekommen: menschliche Aufmerksamkeit.«
    Gerald fühlte Mitleid für Ben, einen Mann des Friedens, der nun einen tödlichen Krieg analysieren musste. Einen Krieg, der offenbar Jahrmillionen überspannte und an dem nicht ein einziger Lebender beteiligt war. Was ihn nicht weniger brutal machte.
    Akana schwieg seit einer Weile, und die Gläser ihrer Tru-vu-Brille waren undurchsichtig geworden. Sie klickte mit den Zähnen, und Gerald glaubte, in ihrem subvokalen Brummen mehr als ein »Ja, Sir« zu hören.
    Oh, oh, dachte er.
    »Es gibt eine alternative Theorie«, sagte Gennadi, der gar nicht zu bemerken schien, dass Akana abgelenkt war. »Wir haben die kristallenen Artefakte bereits mit Viren verglichen. Nun, in dem Fall könnten wir eine biologische Analogie verwenden. Eine Erklärung für die Maschinen, die auf die ›Viren‹ im All schießen, könnte sein, dass sie Teil eines Immunsystems sind, das …«
    Akanas Brillengläser wurden wieder klar, und sie stand abrupt auf. Kerzengerade stand sie da, klein, aber in eine Aura der Autorität gehüllt – sie war vor kurzer Zeit zum Generalmajor der United States Aerospace Force befördert worden, und das merkte man ihr an. Selbst das Schweigen wirkte bei ihr eindrucksvoll.
    »Das war das Weiße Haus. Alle Pläne für Bergungsmissionen sind auf Eis gelegt. Niemand hält es für ratsam, ein Team oder auch nur Sonden in das Chaos dort draußen zu schicken. Wie ich hörte, hat Großchina ähnliche An weisungen gegeben.«
    Sie zögerte, während Haihong Ming die Anzeigen seiner Instrumente überprüfte. Nach einigen Sekunden nickte er.
    »Es stimmt. Aber das scheint noch nicht alles zu sein. Wenn Sie mir freundlicherweise einen Moment Zeit geben würden …« Daraufhin verschwanden seine Augen hinter plötzlich nicht mehr durchsichtigen Brillengläsern.
    Gerald und die anderen wechselten Blicke. Früher einmal hatte es Monate gedauert, bis ein Gesandter mit seiner Regierung daheim Rücksprache halten konnte. Jetzt vergingen nur ein oder zwei Minuten, aber sie schienen endlos zu sein, als Haihong Ming subvokal brummte, dabei erst überrascht, dann protestierend und schließlich unterwürfig klang.
    Die Gläser seiner Brille wurden wieder klar, und er musterte die anderen Kommissionsmitglieder der Reihe nach.
    »Mir scheint, wir haben jetzt ausreichend Grund für eine uneingeschränkte