Existenz
Dokument, eine einzelne Seite, die sich dehnte, breiter wurde und mit pixelierten Farben glänzte, als wäre sie einer Lichtquelle ausgesetzt, die sich auf der einen Seite befand. Gerald kniff die Augen zusammen. Seine KIware kompensierte und interpretierte.
Ein Speicherblatt. Ein älteres, Zehn-Petabyte-Exemplar für die Aufnahme digitaler Daten.
Das dünne Objekt schwebte dreidimensional über dem Tisch, schien dann flacher zu werden und glänzte in allen Farben des Spektrums.
»Diese Aufzeichnung kam vor drei Stunden in unseren Besitz. Das Blatt wird gerade nach Peking gebracht, doch ein erster Download enthält so erstaunliche Informationen, dass ich angewiesen bin, sie mit Ihnen zu teilen.«
Schwärze erschien in einer Ecke des Speicherblatts, wuchs, dehnte sich aus, gebar dann zahlreiche leuchtende Punkte, Sterne, die tanzten und auseinanderflogen, einen 3D-Kosmos mit fremden Sternbildern formten, mit einer blaubraunen Welt im Vordergrund, mit einem Planeten, der ganz offensichtlich nicht die Erde war. Gerald erkannte darin auch keinen der Planeten wieder, die das Havanna-Artefakt gezeigt hatte.
»Wie ich schon sagte, der interstellare Reisende selbst steht uns nicht zur Verfügung«, erklärte Haihong Ming. »Der Kristall könnte sich inzwischen an einem geheimen Ort befinden, gehütet von einer Nation, einer Verschwörung oder einer Gang. Aber ein mitfühlender, verständnisvoller Bürger hat uns diese Aufzeichnung zukommen lassen, die Dutzende Stunden Output vom Himmelsei umfasst.«
»Himmelsei?«
»Das ursprüngliche Artefakt ist chinesisches Nationaleigentum. Es gehört uns, und deshalb können wir es nennen, wie wir wollen. Und wir werden es wieder in unseren Besitz bringen! Nun, hier ist ein kleiner Teil des Informationsschatzes. Denken Sie daran, ich sehe dies jetzt ebenfalls zum ersten Mal.«
Haihong Ming winkte, und eine Geschichte aus Bildern begann.
Bewohner der blaubraunen Welt starteten eine kleine, funkelnde Sonde und benutzten dann riesige Maschinen, um Strahlen ins All zu schicken, die auf hauchdünne Segel trafen und die Sonde beschleunigten. Gennadi und Ramesh sprachen leise über technische Unterschiede bei der hier gezeigten Methode und jener, die ihnen das Havanna-Artefakt präsentiert hatte. Alle anderen schwiegen und beobachteten, wie der kleine Botschafter durch die Dunkelheit flog … bis er im Licht einer schnell näher kommenden Sonne heller wurde.
Gerald hielt unwillkürlich den Atem an, als Jupiter die Sonde einfing und fortschleuderte … als der Gesandte um die anderen Planeten wirbelte und bei jeder planetaren Begegnung Bewegungsmoment verlor, bis schließlich ein vertrauter Globus in Sicht geriet und den Reisenden in seine Gravitationsarme schloss …
Umhüllt von Feuer raste die Sonde durch die Atmosphäre, landete wie durch ein Wunder in weichem Schnee und wurde von Menschen entdeckt, deren Kleidung aus Fellen und genähtem Leder bestand.
Damit hatte die Geschichte gerade erst begonnen.
Es gab keine Pausen, weder für Mahlzeiten noch für die Toilette, und fast die ganze Zeit über herrschte Stille. Schließlich erschien ein einzelnes Wort in der dreidimensionalen Darstellung über dem Tisch, direkt neben dem Havanna-Artefakt unter der schwarzen Decke. Es zeigte sich in Form von alten chinesischen Ideogrammen, schwebte und schimmerte in einem kalli grafischen Stil, der kantig und fast zornig erschien.
Geralds KIware hatte keine Probleme mit der Übersetzung. Und plötzlich verstand er, warum Haihong Ming und seine Vorgesetzten beschlossen hatten, alles preiszugeben, was sie wüssten.
LÜGNER.
Loyalitätstest
Das muss man den Jungs und Mädels der Kontaktkommission zugestehen: Sie lassen sich clevere Tricks einfallen, um das Artefakt zur Kooperation zu bewegen. Zuerst die Verhaltenskonditionierung im letzten Monat, und jetzt die Weigerung, die endlose Präsentation von Diagrammen und technischen Anleitungen aufzuzeichnen.
Wer wäre darauf gekommen? Ein Geschenk abzulehnen? Etwas zurückzuweisen, das sich die Menschen leidenschaftlich wünschen – hoch entwickelte Technik –, um dafür etwas zu bekommen, das noch wichtiger ist?
Es ergibt durchaus einen Sinn. Worin besteht die oberste Priorität der Sonde? Sie will uns dazu bringen, weitere Sonden herzustellen. Ganz abgesehen davon, ob das letztendliche Ziel gut, schlecht oder neutral ist: Das Artefakt muss sich danach verzehren , uns jene Technologien zu vermitteln. Und das können wir ausnutzen. Hideoshi
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