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Existenz

Existenz

Titel: Existenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Brin
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fehlerhafte, beschränkte Geschöpf, das hinter jenen Augen wohnte. Jeder einzelne Teil der Legende erschien unwahrscheinlich.
    Alles zusammen? Grotesk!
    Aber all das weiß ich bereits. Ich habe mehr Glück gehabt, als es irgendjemand verdient. Beginnend mit dem Moment, als mir etwas Seltsames bei dem Objekt auffiel, das Hachi und ich aus der Umlaufbahn fischten …
    Jenes Gefühl wiederholte sich jetzt. Ein Frösteln ganz unten am Rücken. Ein kurzer Schauer des Erkennens. Gerald hielt noch immer den Blick vom betreffenden Abschnitt des Korridors fern und dachte angestrengt nach.
    Andere Generationen hätten es dem Eingreifen der Götter zugeschrieben, oder des einen Gottes. Oder sie hätten von »Schicksal« gesprochen. Das menschliche Ego sieht gern zu unseren Vorurteilen und zu unserer Selbstgefälligkeit passende Verbindungen; es lässt keine Ausnahmen zu.
    Und so lehnt sich die Wissenschaft weit zur anderen Seite und lehrt uns, das Subjektive aufzugeben und einen neutralen Standpunkt zu beziehen. Daran gibt es nichts auszusetzen, aber …
    … sollten wir nicht ein Auge einen Spaltbreit offen lassen, für das Magische und Seltsame? Für Dinge, die zu gut – oder zu schlecht – sind, um wahr zu sein.
    Etwas bewegte sich beim blinden Fleck.
    Es sollte nicht möglich sein. Er hatte keine Netzhautzellen auf die Stelle des Korridors gerichtet. Trotzdem sah Gerald etwas und gestattete ihm ohne jede Erwartung, Form zu gewinnen …
    Plötzlich empfing er ein Bild, für einen Sekundenbruchteil, wie von einer elektrischen Entladung in sein Bewusstsein übertragen: ein schmales, spitzes Gesicht, unscharf, mit langen Schnurrhaaren, einem Schwanz, der eine Art Schleife bildete, und schwarzen, glänzenden Augen.
    »Porfirio«, hauchte Gerald. Der Rattengott des Weltnetzes. Zum größten Teil ein Mythos, aber von zahlreichen Gruppen, Individuen und KIs überall auf der Erde und im Weltraum verehrt – sie zahlten ihren Zehnten, überließen dem Patron aller Upload-Wesen ein Millionstel ihrer Bit-Zyklen.
    Gerald beendete die Trance und rieb sich die Augen, bevor er den Blick wieder in den Korridor richtete, diesmal mit voller Aufmerksamkeit. Er sah … nichts. Nichts als Staub, von statischer Elektrizität und Zentrifugalkraft auf dem Boden gehalten.
    Das war kein Cobbly. Die berühmte kleine Software-Ratte stellte vielmehr genau das dar, was sein Unterbewusstsein erträumen würde! Eine aus Fantasie und Erschöpfung geborene Illusion. Auf einem anderen Niveau stellte Porfirio eine ganz andere Erklärung für Geralds Lebensgeschichte dar. Der zwanghafte Gedanke, dass vielleicht alles eine Simulation war.
    Wenn ich das nächste Mal erwache … Finde ich mich dann in einem Kristall wieder, der durch die endlose Leere zwischen den Sternen fliegt? Oder vielleicht tief im Schlamm steckt, am Grund eines planetaren Meeres? Diese Realität hier, das Leben an Bord eines großen Schiffes, als Held und lebende Legende … Ziehe ich mich in diese scheinbare Wirklichkeit zurück, um einer schrecklichen Wahrheit zu entrinnen?
    Wenn das stimmt: Sollte ich mir dann solche Mühe geben, aufzuwachen und die »wahre« Realität zu erkennen? Sollte ich es nicht besser dabei belassen?
    Gute Frage.
    Aber Charakter ist Charakter. Persönlichkeit ist Persönlichkeit. Gerald kannte sich und wusste daher, wie die Antwort lautete.
    Zum Teufel, ja. Man muss immer versuchen aufzuwachen.
    Er lachte.
    Genug.
    Für Ikas Cobbly-Jagd konnte er nur dann und wann wenige Minuten erübrigen, während der Kampf seine ganze Kraft beanspruchte. Der Kampf um die Menschheit, um die Erde. Und vielleicht um noch mehr.
    Aber eine Person kann viele Dinge tun und viele Dinge sein.
    Ich komme wieder, teilte er dem leeren Korridor mit. Und ich werde nicht vergessen.

Lungenfisch 88
    Sie lief, mit gebräunten Beinen, auf denen Schweiß glänzte, gekleidet in seidene Shorts und ein rückenfreies Oberteil. Ihre nackten Füße berührten einen Boden, der sich etwas fester anfühlte als Gras. Ein fast erotisches Gefühl der Jagd erfüllte sie. Einmal war sie die Jägerin, ein anderes Mal die Gejagte, und sie wusste: Wenn man sie einfing, so nur, weil sie es wollte. Sie lief weiter, jagte durch die frische Brise.
    Jetzt schwamm sie. Wasser strich wie Samt über ihre Haut. Primordial, aber grenzenlos. Fast pränatal in seiner Unschuld, aber ohne die Enge einer Gebärmutter. Sie drehte den Kopf genau im richtigen Winkel, um zu atmen. Fühlte das sanfte Brennen von gebrauchter Kraft.

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