Exit
Cindy?« fragte ich.
»Sie wird wahrscheinlich grauenhafte Kopfschmerzen haben, aber sie wird überleben.«
»Unter Umständen braucht sie einen Entzug.« Ich dämpfte meine Stimme zu einem Flüstern. »Er sagte, sie sei an die Droge gewöhnt, wenn er auch bestritt, daß er etwas damit zu tun hat. Er regte sich richtig auf und sagte, er hätte keine Drogen bei sich. Aber ich bin sicher, er hat es ihr in den Kaffee getan. Jedesmal, wenn ich ihn hier traf, hatte er eine Tasse in der Hand.«
Stephanie setzte sich aufs Bett und nahm ihr Stethoskop vom Hals. Sie hauchte die Horchplatte an, um sie zu wärmen, legte sie auf Cassies Brust und lauschte. Als sie fertig war, fragte ich, ob man in Cassies Körper irgendwelche Drogen gefunden hatte.
»Nein, nur sehr niedrige Zuckerwerte«, flüsterte sie. Sie hob Cassies freien Arm und fühlte den Puls. »Schön regelmäßig.«
Für einen Augenblick saß sie nur da, dann deckte sie Cassie zu und streichelte ihre Wange.
»Ich verstehe es nicht«, sagte sie, »warum benutzt er unmittelbar, nachdem du die Zylinder gefunden hast, wieder Insulin? Es sei denn, Cindy hat ihm nichts davon erzählt. Meinst du, ihre Kommunikation war so schlecht?«
»Ganz sicher hat sie ihm davon erzählt, und das ist genau der Grund, weshalb er es heute benutzte. Er hatte die Zylinder im Badezimmer deponiert, damit ich sie finde. Er rief eigens an, um nachzufragen, ob ich wirklich komme, und um sicherzustellen, daß er dann nicht zu Hause sein würde. Er spielte den besorgten Vater, doch in Wirklichkeit hatte er alles geplant. Er wußte, daß wir mittlerweile Münchhausen vermuten mußten, und hoffte, ich würde herumschnüffeln, die Zylinder entdecken und Cindy verdächtigen - was ich auch tat. Was wäre logischer? Es waren Proben, die ihrer Tante gehört hatten, und sie machte den Haushalt, also war sie am ehesten verdächtig, sie im Bad versteckt zu haben. Und sie ist die Mutter - das sprach von Anfang an gegen sie. Beim erstenmal, als ich ihn traf, betonte er, daß sie eine konventionelle Ehe führten - für die Kinder war sie allein zuständig.«
»Er orchestrierte alles so, daß es gegen sie sprach, von Anfang an.«
»Ja, es ist teuflisch. Selbst wenn ich die Zylinder gestern nicht gefunden hätte, hätte es noch beliebig andere Gelegenheiten gegeben, ihr die Schuld zuzuschieben.«
»Monströs.«
»Heute abend war das letzte Kapitel an der Reihe. Cassie sollte einen tödlichen Anfall erleiden, und Cindy wäre dabeigewesen, so daß jeder sie verdächtigt hätte. Wenn wir ihn nicht erwischt hätten, hätte er die Nadel vermutlich in ihrer Handtasche oder irgendwo anders untergebracht, wo es sie kompromittiert. Das Valium in ihrer Blutbahn hätte sie nur noch schuldiger erscheinen lassen. Es wäre als Selbstmordversuch nach der Tat oder als Ausdruck ihrer Geistesgestörtheit aufgefaßt worden.«
Stephanie rieb sich die Augen. »Was für eine unglaubliche Bosheit… Wie ist er überhaupt an den Wachen vorbeigekommen?«
»Dein Freund Bill sagt, er sei nicht durch den Haupteingang gekommen. Wahrscheinlich hat er einen der Schlüssel seines Vaters und einen Hintereingang benutzt, möglicherweise an einer der Laderampen. Um diese Zeit ist dort kein Mensch. Eine der Kameras hat aufgezeichnet, daß er die Treppen hochkam und dann hier oben wartete, bis die Schwester im Ostflügel in ihr Zimmer ging, bevor er sich auf die Privatstation schlich. Wahrscheinlich hat er es beim erstenmal, als Cassie einen Anfall hier im Krankenhaus hatte, genauso gemacht. Da war die Generalprobe. Er schleicht sich am frühen Morgen ein, injiziert ihr gerade genug, daß die Wirkung verzögert eintritt, dann fährt er nach Hause und wartet auf Cindys Anruf, bevor er wieder herkommt, um ihr im Untersuchungszimmer beizustehen.«
»Und die ganze Zeit war ich von Cindys Schuld überzeugt«, sagte Stephanie. »Saubere Arbeit, Dr. Eves.«
»Ich hatte mich auch auf sie eingeschossen. Wir alle haben das getan. Es ist eben alles vorhanden bei ihr: geringes Selbstwertgefühl, sympathisches Benehmen, frühe Erfahrungen mit schwerer Krankheit und eine Ausbildung im Gesundheitswesen. Wahrscheinlich stieß er in seiner Literatur auf das Münchhausen-Syndrom, erkannte, daß alles paßte und daß er sie auf diese Weise vernichten konnte. Deswegen hat er Cassie nicht in ein anderes Krankenhaus gegeben. Er wollte uns Zeit lassen, den Verdacht gegen Cindy zu entwickeln. Er benutzte uns als sein Publikum - so wie er es mit seinen
Weitere Kostenlose Bücher