Exit
erstes Kind starb den plötzlichen Krippentod. Das war ein Musterfall, und ich möchte wissen, ob er da nicht auch Regie geführt hat.«
»Das klingt aber ziemlich… na ja, grotesk, findest du nicht?«
»Ich dachte an euer Referenzsystem. Wenn er ein Rechenzeitkonto bei euch hätte, wäre es möglich, das herauszufinden?«
»Die Bibliothek hat natürlich ein Benutzerregister, für die Kostenabrechnung.«
»Steht da auch drin, welche Artikel ausgeliehen wurden?«
»Aber sicher. Wie spät ist es jetzt? Neun Uhr siebenundvierzig. Die Bibliothek ist bis zehn geöffnet. Ich könnte dort anrufen und fragen, ob jemand, den ich kenne, noch da ist. Gib mir mal den Namen des Kerls.«
»Jones, Charles L., Soziologie, West Valley Community College.«
»Gut, das hab ich. Bleib bitte dran. Ich gehe auf die andere Leitung. Kannst du mir deine Nummer geben, nur falls wir unterbrochen werden?«
Fünf Minuten später war sie wieder da.
»Voilà. Der Idiot hat eine wunderbare Papierspur hinterlas sen. Über drei Themen hat er alles ausgeliehen, was es gibt in der Datenbank - Münchhausen, plötzlicher Säuglingstod und die soziologische Struktur von Krankenhäusern. Außerdem einzelne Artikel über zwei andere Themenkreise: die Toxizität von Valium und - halt dich fest - weibliche Phantasien über Penisgröße. Ich hab alles hier, die Titel und jeweils Datum und Uhrzeit der Entnahme. Ich mache dir für morgen einen Ausdruck fertig.«
»Phantastisch. Ich bin dir wirklich dankbar, Jennifer.«
»Da ist noch etwas«, sagte sie. »Er ist nicht der einzige, der das Konto benutzt hat. Einige Anforderungen tragen eine andere Unterschrift - Kristie Kirkash. Kennst du jemanden mit dem Namen?«
»Nein, aber es würde mich nicht überraschen, wenn sie jung, süß und eine seiner Studentinnen wäre.«
34
Am nächsten Morgen flimmerte das Tal vor Hitze. Auf der Schnellstraße war ein Tieflader umgekippt und hatte Eier über sämtliche Fahrspuren verstreut. So gar der Seitenstreifen war blockiert, und Milo mußte einige Zeit mit einem Verkehrspolizisten streiten, bevor man uns durchließ.
Wir kamen zehn Minuten später im West Valley College an, als wir geplant hatten. Die Vorlesungen hatten schon begonnen.
Wir stiegen die Stufen zu dem Bauwagen hinauf. Ich blieb in der Tür stehen, während Milo nach vorn zur Tafel ging.
Es war ein kleiner Raum: die Hälfte des Wagens, abgetrennt durch eine Faltwand. In der Mitte ein großer Tisch und ein Dutzend Klappstühle.
Zehn der Stühle waren besetzt mit acht Frauen und zwei Männern. Eine der Frauen war über sechzig, der Rest waren junge Mädchen. Die beiden Männer waren um die vierzig, der eine weiß mit hellbraunen Locken, der andere ein bärtiger Hispano. Der Weiße schaute kurz auf, dann vergrub er sich wieder in ein Buch.
Milo nahm einen Zeigestock in die Hand und klopfte auf die Tafel. »Mr. Jones kann heute nicht kommen. Mein Name ist Sturgis; ich vertrete ihn.«
Alle Augen richteten sich auf ihn, außer denen des Mannes mit dem Buch. Eins der Mädchen fragte mit besorgter Stimme: »Ist er krank?« Sie hatte langes, dunkles, krauses Haar, ein schmales, hübsches Gesicht und trug Ohrgehänge mit lila-weißen Plastikkugeln. Ein enges schwarzes Trägerhemd betonte ihren großen Busen und ließ die glatten, gebräunten Schultern frei. Sie trug zu blaue Lidschatten und zu rosa Lippenstift, und beides zu dick aufgetragen. Trotzdem sah sie besser aus, als das Foto in ihrer Schulakte versprochen hatte.
»Nicht direkt, Kristie«, sagte Milo.
Ihr Mund stand offen. Die anderen Studenten glotzten sie an.
Sie sagte: »Was geht hier vor?« und griff nach ihrer Handtasche. Milo holte seine Polizeimarke aus der Tasche und hielt sie hoch.
»Das würde ich gerne von dir hören, Kristie.«
Sie erstarrte.
Der weiße Mann schaute verstohlen über den Buchrand.
Milos Blick wanderte hinunter zu seinen Schuhen.
Klobige schwarze Schuhe, Knobelbecher, die nicht zu seinem Seidenhemd und den Designerjeans paßten.
Milos Augen verengten sich zu Schlitzen. Der Mann schaute nun mich an, dann hob er das Buch vor sein Gesicht.
Kristie begann zu weinen.
»Auf, Joe, Zellenkontrolle!« rief Milo unvermittelt. Der Bücherwurm schaute auf wie im Reflex, nur für eine Sekunde, aber das genügte. Aus zehn Metern Entfernung würde er aussehen wie der nette Mann von nebenan, aber aus der Nähe waren Details zu erkennen, die diesen Eindruck Lügen straften: das schlechtrasierte Kinn, Pockennarben auf den
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