Exodus
ein weiteres Rädchen der deutschen Kriegsmaschine werden. Gegen Mitte des Jahres 1941 hatte sich daher in Dänemark, wo man das Beispiel Norwegens, des skandinavischen Brudervolkes, vor Augen hatte, eine zahlenmäßig zwar noch geringe, aber sehr entschlossene Widerstandsbewegung gebildet. Reichsbevollmächtigter Best, Oberhaupt der deutschen Zivilverwaltung in Dänemark, war dem »Musterprotektorat« gegenüber für eine Politik der Mäßigung, solange die Dänen friedlich blieben und zur Mitarbeit bereit waren. Die Maßnahmen gegen die Dänen waren milde im Vergleich zu dem Vorgehen in den anderen besetzten Gebieten. Trotzdem wuchs die Widerstandsbewegung unaufhaltsam. Ihre Mitglieder konnten es zwar nicht wagen, die deutschen Truppen mit Waffengewalt zu bekämpfen oder eine allgemeine Erhebung zu planen, doch sie fanden einen Weg, ihrem Haß auf die Deutschen wirksamen Ausdruck zu verleihen. Dieser Weg hieß Sabotage.
Dr. Werner Best verlor die Nerven nicht. In aller Ruhe erfaßte er diejenigen Dänen, die mit den Nazis sympathisierten, um der neuen Bedrohung Herr zu werden. Die von den Deutschen aufgestellte Hilfspolizei entwickelte sich zu einer Bande dänischer Terroristen, die zu Strafaktionen gegen ihre eigenen Landsleute eingesetzt wurde. Jeder Sabotageakt wurde mit einer Aktion der HIPOS beantwortet. Während die Monate und Jahre der deutschen Besatzung ins Land gingen, erlebte Karen Hansen im abgelegenen Aalborg, wo das Leben ganz normal schien, ihren elften und ihren zwölften Geburtstag. Die Berichte von Sabotageakten und der gelegentliche Krach einer Schießerei oder einer Explosion erschütterten die Ruhe des Städtchens nur für kurze Zeit.
Karen hörte auf, ein Kind zu sein, und verspürte die ersten Freuden und Leiden einer tiefen Zuneigung, die nicht den Eltern oder einer Freundin galt. Sie schwärmte für Mögen Sörensen, den besten Fußballspieler der Schule, und da ihre Zuneigung nicht unerwidert blieb, wurde sie von allen anderen Mädchen beneidet.
Ihre tänzerische Begabung war so groß, daß die Lehrerin Meta und Aage Hansen nahelegte, das junge Mädchen die Aufnahmeprüfung für das Königliche Ballett in Kopenhagen machen zu lassen. Karen sei ein sehr begabtes Kind, meinte die Lehrerin, und in ihrem Tanz äußere sich eine Empfindungsfähigkeit, die weit über ihr Alter hinausginge.
Anfang 1943 wurden die Hansens immer unruhiger. Die dänische Widerstandsbewegung gab den Alliierten durch Funkspruch sehr wertvolle Informationen über die Anlage wichtiger Rüstungsbetriebe und großer Nachschublager auf dänischem Gebiet. Sie ging in ihrer Mitarbeit so weit, der Royal Air Force die genaue Lage dieser
Angriffsziele zu übermitteln.
Die HIPOS und andere von den Deutschen gekaufte Terroristen schritten zu Vergeltungsmaßnahmen. Als die Aktivität auf beiden Seiten zunahm, fing Aage an, sich Gedanken zu machen. Alle Leute in Aalborg wußten, wo Karen herkam. Zwar hatte man gegen die dänischen Juden bisher noch nichts unternommen, doch das konnte sich plötzlich andern. Mit ziemlicher Sicherheit war auch anzunehmen, daß die Deutschen durch die HIPOS über Karens jüdische Herkunft informiert waren. Schließlich faßten Meta und Aage den Entschluß, ihr Haus in Aalborg zu verkaufen und nach Kopenhagen zu ziehen, unter dem Vorwand, daß die beruflichen Möglichkeiten für Aage dort besser seien und daß Karen in Kopenhagen auch eine bessere Tanzausbildung bekommen könne.
Im Sommer des Jahres 1943 trat Aage als Sozius in ein Rechtsanwaltsbüro in Kopenhagen ein. In dieser Stadt von einer Million Einwohnern hofften sie, völlig anonym untertauchen zu können. Für Karen wurden falsche Papiere beschafft, aus denen hervorging, daß sie ihre leibliche Tochter war. Karen nahm Abschied von Mögen Sörensen und durchlitt heftigen Liebeskummer.
Die Hansens fanden eine sehr schöne Wohnung am Sortedams Dossering. Das war eine breite Straße, die sich mit vielen Bäumen an einem künstlichen Wasserlauf entlangzog, über den zahlreiche Brücken in die Altstadt führten.
Nachdem sich Karen in der neuen Umgebung eingewöhnt hatte, fand sie Kopenhagen ganz wunderbar. Diese Stadt war wie ein Märchen. Sie machte stundenlange Spaziergänge mit Aage und Maximilian, um sich all das Wunderbare anzusehen, was es hier gab. Man konnte am Hafen entlanggehen, an der Figur der kleinen Meerjungfrau vorbei, die Langelinie entlang oder durch die Gärten des Schlosses Christiansborg. Da gab es Kanäle und schmale
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