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Exodus

Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DJ Stalingrad
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still. Die Stärke der Stromschläge ist
gering, sie reicht nicht, um zu töten – doch sie sind
schmerzhaft und wiederholen sich vor allem permanent. Unfähig,
ihnen zu entkommen, wird sich die Maus mit ihrem winzigen Hirn der
Sinnlosigkeit ihrer Anstrengungen bewusst und hört auf,
Widerstand zu leisten, legt sich still auf den Boden, zuckt hin und
wieder. Währenddessen vollziehen sich in ihrem Körper
irreversible Veränderungen, das Nerven-, Hormon- und Immunsystem
wird gehemmt, sie schwitzt, zittert am ganzen Leib und stirbt –
aber nicht durch den Strom, sondern aufgrund der Erschöpfung und
anderen natürlichen physiologischen Prozessen, durch deren
beschleunigten und unkontrollierten Ablauf ihr Leben vernichtet wird.
    Nun
der letzte Versuch. Ein Käfig, eine Scheidewand ohne Türchen,
ein elektrisch geladener Boden, aber jetzt sitzt hier nicht eine
Maus, sondern zwei. Der Strom wird eingeschaltet. Zunächst rasen
beide Tierchen, wie erwartet, in Panik durch den Käfig, klettern
an den Wänden hoch, suchen einen Ausgang. Schließlich
verzweifeln beide und sinken müde zu Boden. Doch dann beginnen
sie immer, ohne Ausnahme, miteinander zu kämpfen, einander zu
beißen, und mit jedem Stromschlag werden sie rabiater. Nach
einiger Zeit sind ihre Pfötchen zerbissen, ihre weißen
Körperchen übersät mit roten Bluttröpfchen. Sie
sind bereit, sich gegenseitig totzubeißen oder totzukratzen.
    Und
nun entnehmen wir Blutproben, unterziehen beide einer gründlichen
medizinischen Untersuchung. Abgesehen von den im Zweikampf erlittenen
Verletzungen, kann man ihren gesundheitlichen Zustand
merkwürdigerweise als zufriedenstellend bezeichnen, alle Werte
liegen im Normbereich, alle Hormone sind vorhanden, alle Organe und
Systeme funktionieren gut. Und ganz bestimmt haben die Tierchen nicht
vor zu sterben. Diese Mäuse zeigen uns den Weg des Hasses.
    Erstmal
geboren und getrennt vom mütterlichen Blutkreislauf, erleben wir
ständig Leid, die Hormone lassen uns nicht in Ruhe. Angst,
Hunger, Kälte, Gier, Schmerz – wir spüren sie jeden
Tag. Wir gehen dagegen an, schütten uns mit Gegenmitteln voll,
trinken Alkohol, haben Sex, schlafen, gehen in die Sporthalle, essen,
nehmen Drogen, beten in der Kirche, kriegen Kinder. Ja, und klar, wir
kämpfen gegen oder für irgendwas, das ist der komplexe
Ansatz.
    Das
Leben des Menschen ist ein Kampf der Stresshormone, Schmerzhormone
und des Adrenalin mit endogenen Opiaten, Endorphinen, natürlichen
analgetischen und anderen Hormonen, die unser Gehirn produziert,
damit sie uns befriedigen. Drogen gegen Drogen, weiter nichts.
    Wenn
du in der Schule anfängst, eine Sprache zu lernen, sind deine
ersten Worte: Papa, Mama, Haus und all das. Wenn du im Ausland neue
Worte lernst, nachdem du abgehauen bist, ist es ganz anders. Bulle,
Idiot, Schlampe, Wichser – das hörst du jeden Tag.
    »Wir
schreien raus, was jeder weiß: Bullen sind Mörder, Bullen
sind Wichser.« Wie eine gigantische Schlange kriecht ein
schwarzer Riesenhaufen von ein paar tausend Mann durch eine
Touristenstadt im Süden, demoliert Banken und Geschäfte,
zündet Autos an, spuckt Steine und Flaschen mit explosiven
Flüssigkeiten, frisst frisst frisst. Bullen gibts hier nur
wenige, ein paar Einheiten von zehn Mann, die sich gegen die Wände
pressen, sich mit Schilden schützen und mit allem beworfen
werden, was in tausend Hände gerät. »Du schützt
dein Gesicht mit einem Helm, Schwein! Das muss dir doch peinlich
sein, Wichser!«, werden sie von allen ­angebrüllt.
    Ich
warte auf meinen Moment. Um meinen Kopf habe ich ein T-Shirt
gewickelt, in der Hand ein massives Stück Holz, ein fettes
Stuhlbein aus einem geplünderten Restaurant. Ich warte, ich
brauche einen Bullen, nur einen einzigen. Ich warte, bis die Masse
sich endlich auf die armen Teufel stürzt und sie zerfetzt. Das
wird ein Sieg von allem, was heilig ist, ich werde es nie ver­gessen.
    Doch
nichts passiert. Es ist wie eine riesige Schneeballschlacht: von der
einen Seite Steine und Molotowcocktails, von der anderen Raketen und
Granaten mit Tränengas. Sie vergiften uns damit wie Kakerlaken,
drängen uns aus dem Stadtzentrum, tauchen alles in eine weiße
Wolke. Die Demonstranten schütten sich Maaloxan in die Augen –
Gesichter und Kleidung sind von dem weißen Pulver wie in Kreide
getaucht. Beim Rückzug zerstört die Meute alles, errichtet
Barrikaden aus Müll, Baumaterial, Teilen von Bushaltestellen,
und alles brennt. Feuerwände sperren die Sträßchen
des

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