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Exodus

Exodus

Titel: Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DJ Stalingrad
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mehr, als würden wir über ein
Feld voller Gras aus dünnen scharfen Halmen rennen und uns
später wundern, warum die Beine ganz blutig sind.
    Der
Schmerz macht uns unempfindlich gegen Schmerz, und jetzt stehen wir
allein, mitten auf dem endlosen Feld.
    Ich
habe einen Freund. Kolja. Ich glaube, er ist verrückt geworden.
Als wir zur Schule gingen, war er schon ziemlich aktiv und hat mir
damit große Angst eingejagt, seine Aktivität war
furchteinflößend. Wie ein kleines schwarzes Loch
verschlang er Musik, Nachrichten, Eindrücke, Gerüchte.
Später begann er, radikal-politische Ansichten, Alkohol,
Klamotten, Drogen und die gute alte Ultra-Gewalt zu verschlingen. Mit
der Zeit wurde das schwarze Loch immer größer, alles floss
nacheinander hinein, zufällige Bekannte, stumpfsinnige Weiber,
wilde Nächte, hemmungslose Alk- und Drogentrips, und dann noch
Ärger mit dem Gesetz. Den Leuten schien, er habe seine Seele dem
Chaos verkauft, dies sei sein machtvoller Avatar, sein grimmiger und
verderbter Gott geworden. Ich aber sah, dass in dem einfachen
Mechanismus seiner Seele etwas zerbrochen war, was auf die eine oder
andere Art bei vielen von uns zerbrochen ist. Er drehte und drehte
den Regler seines Lebens, erhöhte den Druck immer weiter, bis er
zerbrach, bis alles außer Kontrolle geriet. Kolja hat ihn also
gedreht und gedreht, doch er ist dabei nur um die eigene Achse
rotiert und hat aufgehört, irgendwas zu regulieren. Alles hatte
seinen Sinn verloren und drehte sich ganz von selbst. Einmal hätte
er fast ein Mädel aus dem Fenster ihrer eigenen Wohnung
geschmissen, obwohl er danach mit ihr vögelte. Er stürzte
sich oft auf Freunde und Bekannte, manchmal mit einem Messer, träumte
davon, eine Knarre in die Finger zu kriegen – alle zitterten.
    Jetzt
sitzt Kolja im Knast, wie er es seit Langem erwartet hat, er hat eine
neue Routine, neue Kollegen, sogar einen Gefängnisspitznamen.
Der Regler dreht sich weiter.
    Einmal,
vor langer Zeit, kam Kolja zu mir, setzte sich hin und sagt
plötzlich: »Hör mal, bin ich vielleicht verrückt?
Bin ich vielleicht einfach ein Psychopath, bin verrückt geworden
und brauche einen Arzt? Nee, echt mal, ich merke, irgendwas stimmt
nicht mit meinem Kopf, irgendwie passt das alles nicht zusammen.
Vielleicht kann der mir helfen.«
    Ein
Kerl schreit ins Mikro, draußen ist es kalt geworden, es ist
Winter und er nur im T-Shirt, in einem feuchten, dreckigen Keller,
über seinem Kopf dampft und blitzt eine einzige Glühbirne,
sie heizt den ganzen Raum, wie die Sonne – die Sonne scheint
doch genauso einsam im vollgemüllten Weltall. Sie scheint auf
unsere ausgemergelten, ausgetrockneten, überreizten Körper,
die auf dem kalten Boden zittern, und wärmt uns alle, denn wir
brauchen so wenig, sind mit so wenig zufrieden. Durch die Wärme
tritt kalter Fieberschweiß auf unsere Haut, klebrig und bitter.
    Der
Kerl schreit ins Mikro, wir zappeln im Dreck und zucken im Licht
einer einzigen Glühbirne in einem feuchten, kalten Keller.
    Jesus
Christus Allin war der letzte Prophet des Rock’n Roll. Er wurde
am 29. August 1956 in dem Städtchen Lancaster, New Hampshire, im
Trailer eines religiösen Fanatikers geboren, dem im Traum der
Retter erschien und befahl, dem Jungen seinen Namen zu geben. Es war
ein übles Kaff, statt für die Schule zu lernen, hörte
man Punk-Rock und streifte durch fremde Häuser. Einmal lernten
Allin und sein Bruder ein paar Lieder und traten bei einer Schulfeier
auf – sie endete als wüste Schlägerei und Orgie.
    Er
sang über die Jahre in verschiedenen Gruppen, The Cedar
Street Sluts, The Texas Nazis , The Murder Junkies –
und mit den Jahren verschlang ihn der Hass immer mehr, wurden die
Texte immer krasser. I Kill Everything I Fuck , Kill Thy Father, Rape Thy Mother , Kill The Police , Anal Cunt , A Fuck-Up , Eat My Diarrhea – das sind seine unvergänglichen Hits. Als
kräftiger, kahlrasierter Typ mit einem hirnrissigen Schnurrbart
kam er auf die Bühne und versenkte den Zuschauerraum in
psychotische Untiefen. Er schnitt sich, zerschlug Flaschen auf seinem
Kopf, schiss und fraß seine Fäkalien, zerstörte die
Anlage und peitschte sich mit den Kabeln. Er vergaß auch die
Zuschauer nicht, schlug alle zusammen, die ihm unter die Finger
kamen, bepinkelte sie, beleidigte und verkrüppelte Frauen.
Massenschlägereien begannen bei seinen Auftritten mit den ersten
Akkorden. Am meisten litt darunter der Meister selbst, er wurde von
der Menge rabiat vermöbelt, zum Ende

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