Exodus
Urlaubsortes, der Rauch des Mülls mischt sich mit dem
Tränengas und steigt hinauf in den Himmel. Weder heute noch
morgen wird ein Bulle ernsthaft verletzt werden. Ich bin enttäuscht
von diesem Spiel.
Wir
alle hassen Bullen, jeder echte Sowjetmensch. Hass. Mir ist alles
egal, persönliche Qualitäten haben keine Bedeutung, sie
hatten nie eine. Du bist, was du trägst, das weiß ich
genau, und es ist an der Zeit, dass alle damit klarkommen. Du trägst
eine Uniform – du bist ein Bulle. Und mir ist egal, was du
sonst noch für ein Freund, Kamerad und Bruder bist. »Kostenlose
Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, bezahlter Urlaub,
kostenlose Bekleidung«, steht in der Broschüre, die alle
Bengel in Moskau kriegen, wenn sie achtzehn werden. Igitt, fuck, ne
Kutte – und dann sah ich tatsächlich ein paar Jungs aus
meiner Schule, aus den Klassen unter mir, in dieser Kutte, schon fett
geworden, mit fiesen Fressen. Hass, Dreck, Ekel. Stellt euch mal vor,
ihr geht auf die Website stayfriends.ru. Da findest du Fotos und
Informationen über alle deine fetten, bereits verheirateten
Klassenkameraden. Und siehst dann: Der hat schon Kinder, ein anderer
hat sich einen Lada gekauft, und bei dem nächsten, ups, du
siehst das Foto, der ist in Uniform! Ein Wunder der Natur, halb
Mensch, halb Untoter, unter den Lidern hervor – ein bleiernes
Nichts, wie zwei Kugeln aus einer Makarow. Wir alle verkaufen
jemandem unsere Seele, aber das ist einfach zu widerlich.
Eine
dunkle Zelle, stinkende Holzbänke, von denen die Farbe
abblättert. Sie sind angefressen, zerschrammt voller Krakeleien,
Kerben, Spuren der Fingernägel, die sich über die Jahre
nervös in die Planken gekrallt haben. Zu meiner Verwunderung bin
ich ruhig, das hätte ich echt nicht erwartet, dass die Ruhe und
Gleichgültigkeit in mir schon dermaßen fortgeschritten
sind. Jetzt wirds ernst, denke ich, mit einem Bußgeld kommst du
nicht mehr davon. Neonlicht, Steinboden, Langeweile auf der anderen
Seite, auf dieser hier Dunkelheit, Stille, Anspannung.
Mit
mir zusammen in der Zelle sind vor allem Illegale, sie werden
reingebracht, rausgebracht. Sie kauen wie immer Kautabak, schicken
SMS von versteckten Handys, tuscheln leise miteinander. Neben mir
sitzt ein alter, ordentlicher, verschrumpelter Mann mit gesenktem
Kopf.
»Die
Mutter hat ihn immer verwöhnt, die ist schuld. Jetzt haben wir
so einen Hünen am Hals. Trinkt, brüllt, prügelt sich,
schlägt uns dauernd. Und wir nehmen alles hin, denn er ist
Mutters Ein und Alles. Jetzt kam er wieder an, besoffen, demolierte
alles, wollte Geld, ich sage: ›Nein, ich hab noch keine Rente
bekommen.‹ Na, er schlägt mich. Und ich, ertrage es wie
üblich, erdulde alles, wie er mich verprügelt. Aber
plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, wurde mir so
schrecklich, so widerlich zumute ... Zur Antwort gab ich ihm also
einen leichten Stups. Er war besoffen und fiel aufs Sofa, ich schau
ihm in die Augen und sehe – der schlägt mich gleich tot.
Aus Angst griff ich, was mir gerade unter die Finger kam, einen
Hammer, und fing an, ihn damit zu schlagen, damit er wegpennt. Ich
weiß, wenn er aufsteht, hat mein Stündlein geschlagen ...
Na
ja, er lebt noch, ist im Krankenhaus, schon wieder bei Bewusstsein.
Die Alte hat die Polizei gerufen, sie sagte später, dass es
keine Prügelei gegeben hat, weder sie noch ich hätten was
abbekommen, als hätte ich ihn vorsätzlich töten
wollen. Dabei ist ihr ganzes Gesicht zerschlagen. Sie hasst mich,
weil ich ihren Sohn angerührt habe, sie sagt, sie will, dass ich
im Gefängnis verrotte. Und der Sohn drängelt, er sagt, nun
gibts für euch nur eine einzige Lösung, die Wohnung auf
mich zu übertragen. Alle hassen mich jetzt. Ist mir aber egal,
was solls.«
Man
bringt mich wieder raus, zur dritten Vernehmung. Im Gang wartet eine
alte Nutte, dass sie an die Reihe kommt, im Negligé, ein Kerl
hat sie betrogen und bei zwanzig Grad minus hinausgeworfen. Ich gebe
ihr meine Jacke, ohne groß nachzudenken.
»Ich
verstehe einfach nicht, was ihr alle habt.« Ein Absolvent der
juristischen Fakultät, der mich auf dem Revier vernimmt, lässt
ein teures Mobiltelefon zwischen seinen Fingern kreisen. »All
die Skins, Punks und so weiter ... Habt ihr nichts zu tun?«
»Kann
sein«, gähne ich müde. »Jeder verbringt seine
freie Zeit, wie er Bock hat. Der eine hängt in Hauseingängen
rum, der andere in Spielhallen. Und wieder ein anderer zieht sich gut
an, geht zu einem Konzert oder fährt zu einem
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