Exodus
auf
Pappen und Müll. Die Jungs trinken Wodka aus der Flasche,
überall beißender Rauch. Um 3.40 kommt eine Elektritschka,
wir hieven uns Seite an Seite auf die leeren Bänke. Bevor ich
einschlafe, kreuzt mein Blick den von einem Typen, der auf der
Nachbarbank sitzt und total platt ist, wie wir da einfallen. Er ist
modisch gekleidet, hat einen ordentlichen Kurzhaarschnitt, trägt
an der Jacke einen Button mit einem griechischen Helm. Er schaut uns
an, erkennt unsere Gesichter aus dem Internet und denkt: »Ach,
das sind die! Was ein Scheiß! Ich hab derart viel über sie
gelesen, derart viel gehört und hab sie mir ganz anders
vorgestellt. Was ist denn das? Ein Haufen Penner, irgendwelche Affen.
Die gehören doch in den Zoo!«
Wir
sind alle für den Krieg geboren, dafür, in Reih und Glied
ins Blutbad zu ziehen. Direkt ins Maschinengewehrnest, direkt ins
Minenfeld. In der menschlichen Gemeinschaft gab es immer einen
natürlichen Ausleseprozess für den nutzlosen Teil der
männlichen Spezies. Sie sind von Geburt an unfähig zum
produktiven gesellschaftlichen Leben, sie gäben schlechte
Ehemänner, Väter, Arbeiter, Chefs. Das ist genetisch
bedingt, diese Menschen haben von Beginn an eine destruktive
Veranlagung. Doch dank vernünftiger Regulationsmechanismen der
Gesellschaft werden diese Menschen schon früh ermittelt, und
bereits in den Jugendjahren wird ihre einzige wertvolle Fähigkeit
gefördert – das Zufügen und Ertragen von Schmerz.
Wenn man sie dann für bereit hält, werden sie dorthin
geschickt, wohin ihr Weg sie führt: in das gesellschaftlich
nützliche Blutbad. Gewöhnlich ist das der Krieg.
Im
Laufe der Menschheitsgeschichte hat sich die Gesellschaft von Zeit zu
Zeit einem Aderlass unterzogen, um aus ihrem Organismus das
überschüssige männliche Blut zu entfernen. Das ist ein
sehr weiser Mechanismus – alle sind damit zufrieden. Die einen
sterben mit einem Lächeln auf den Lippen und dem Gefühl,
ihre Mission im Leben erfüllt zu haben, die anderen bleiben am
Leben und führen das menschliche Leben unter neuen Bedingungen
fort. Geschieht das nicht, verweigert sich die Gesellschaft aus
welchen Gründen auch immer dem Krieg, dann füllen sich
bislang friedliche und glückliche Länder mit Horden von
Verbrechern, Blutsaugern, Psychopathen, Abenteurern, Heiligen –
dann beginnt das nicht abgelassene männliche Blut zu gären
und alles zu vergiften. Wieder beginnen die Gesellschaftsmechanismen
zu arbeiten, und sie finden eine Kompromisslösung: Jetzt
verlagert sich der Krieg ins Innere des Landes, ein Teil der
nutzlosen Männer erhält die Bezeichnung Polizei , der
Rest Kriminelle . Das hilft ein bisschen bei der Lösung
des Problems, wieder fängt das Blut an, in dünnem Rinnsal
zu fließen. Doch in Wirklichkeit ist weder die eine noch die
andere Seite glücklich – das, was sie wirklich wollen, ist
ein echter Krieg, in dem mehr als dreißig Prozent der
Teilnehmer sterben, vielleicht auch volle hundert Prozent.
Ich
stelle mir oft vor, wie ich dort, wo ich gerade bin, während der
Kampfhandlungen zu Tode komme. Ein Feuergefecht in der Stadt, wir
werden von Fernartillerie beschossen, überqueren zerschossene
Straßen und verstecken uns in brennenden Ruinen. Um mich herum
sehe ich genauso stumpfe, eindeutig dem Untergang geweihte Gesichter
wie mein eigenes, beim Vormarsch töten uns verirrte Kugeln und
Granatsplitter. Unser Trupp rückt vor, direkt vor uns erhebt
sich die Wehranlage des Feindes. Ein langer, nicht endender Feuerstoß
legt uns flach, ich werde von mehreren Kugeln getroffen, einen
Lungenflügel hat es erwischt und noch irgendwas in mir drin. Ich
falle, Blut fließt aus mir heraus, nach einigen Zehntelsekunden
verliere ich das Bewusstsein und sterbe.
Wir
alle gehören zu der ekelhaften postsowjetischen Generation. Wir
haben nichts, keine Ziele und Prinzipien, doch als Erbe von hundert
Jahren Kommunismus blieb uns die Sehnsucht. Der Sowjetmensch sollte
nichts wollen, persönliches Glück, Freude im Alltag,
Freizeitvergnügen, all das, alle Lebensziele des westlichen
Siegertyps, rief Spott und Naserümpfen hervor. Der sowjetische
Gigant lebte, um sein ehrliches einfaches Leben zu opfern – auf
der Baustelle, im Gulag, an der Schießscharte, im Bergwerk, in
der kinderreichen Familie, im widerwärtigen Fünfgeschosser.
Das Leben – eine Heldentat, ein Opfer. Wir brauchen keinen
Jesus, weil hier alle Jesus sind.
Zeit
ist vergangen, und geblieben ist uns nur ein Abgrund von Verachtung
und
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