Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
geschmeichelt. Er wollte mich also auch, dachte ich mir, auch wenn mir klar war, dass das nur so lange dauerte, bis die nächste Granate vor der Tür stand. Wie der mich und alle anderen um sich herum manipuliert hat. Aber er war einfach unglaublich anziehend und eben überall da, wo etwas los war, etwas Interessantes oder auch Verbotenes. Und damals war viel verboten. Fast alles, was Spaß gemacht hat. Oft musste ich meinen Pass herzeigen, um zu beweisen, dass ich wirklich seine Tochter bin. Das war ein tolles Spiel. Es hat mir so gut gefallen. Wir gegen den Rest der Welt.
Dabei hat er mich als Frau gar nicht ernst genommen. Einmal hat er mich deshalb sogar richtig zurechtgestutzt. Er hatte damals eine japanische Freundin, die sah wunderschön aus. Sie trug Seidenkimonos und so schmale hochgeschlitzte Suzie-Wong-Kleider, dazu sehr hohe Schuhe. Einmal hat sie mir ein Paar geschenkt, bei denen der Absatz aber schon ein bisschen gewackelt hat. Das waren meine ersten hohen Schuhe, und ich war so begeistert. Mein Vater meinte dazu dann nur: »Das sind Hurenschuhe.« Wieder etwas falsch gemacht. Macht nichts, einfach weiterüben.
Aufbrüche und Ausbrüche
Als ich in die Pubertät kam, entwickelte ich meine speziellen Ausbruchsszenarien. Damals waren die charismatischen Stars der fünfziger Jahre meine Idole. Diese Frauen, die in ihrer Weiblichkeit und Schönheit so stark und selbstbewusst waren: Sehnsuchtsbilder für jeden Mann. Und dann daneben der coole, sensible, gebrochene Typ Mann, der mit seiner Unerreichbarkeit jedes Mädchen, jede Frau in den Wahnsinn trieb. Ich mochte immer schon diese sehnigen, harten, aber zarten Männer. Und in meiner Fantasie wurde ich nach jedem Kinobesuch selbst zum begehrenswerten superweiblichen Star, auf den die coolen Jungs standen. Und den coolsten von allen nahm ich mir natürlich. Es kam vor, dass ich stundenlang nach einem Film noch mit Bardot-Schmollmund herumlief. Eine Pose, die ich lange Zeit auch als Model mochte, so sexy und selbstbewusst. Heute strahle ich lieber in die Kamera, denn Schmollmund sieht ab einem bestimmten Alter einfach nicht mehr so interessant aus.
Als ich mit dreizehn mit der Schule fertig war, weigerte ich mich, den trost- und sinnlosen Trott weiterzumachen und auf die Mittelschule zu gehen. Ich hatte keine Lust mehr auf Langeweile, mit offenen Augen schlafen, auf innerlich verhärtete, strenge Lehrer, langweilige, leblose Vorträge, schlechte Luft und Eingezwängtsein in Ödnis und sich immer wiederholende Stundenpläne. Mein Traum war damals (neben einer Karriere als Star und Geliebte von James Dean) der Besuch der Grafikerschule in München. Zeichnen war ja nach wie vor eine meiner Leidenschaften, und ich konnte es dank der privaten Schulungen durch meinen Onkel Otto richtig gut, aber die nahmen einen erst ab sechzehn. Dekorateurin oder Inneneinrichterin wären für mich auch Alternativen gewesen, nach dem Vorbild meines Vaters. Es macht mir auch heute immer noch Spaß, mit schönen Dingen zu arbeiten und zu gestalten. Doch von der Idee hielt meine Mutter überhaupt nichts. Ihre Tochter begann ihr zusehends zu entgleiten, das schien unaufhaltsam. Aber dass sie so enden sollte wie ihr Vater, der Hallodri, das war zu viel des Guten.
Also begann ich zähneknirschend eine Ausbildung als Retuscheurin, um so gleich in die nächste Zwangsjacke zu rutschen. Um fünf Uhr in der Frühe klingelte der Wecker, weil ich vor sieben Uhr bei meiner Lehrstelle sein musste, um den anderen Arbeitern ihre dreckigen Näpfe auszuwaschen. Der Weg von zu Hause bis zu meiner neuen Arbeitsstelle war elend lang. Und wie alle jungen Leute war ich eher eine Spätaufsteherin und Langaufbleiberin. Das nennt man in der Schlafmedizin übrigens Eulentyp. Sehr passend für mich, in jeder Hinsicht …
Das frühe Aufstehen wurde jedenfalls zum täglichen Folterprogramm. Ich hasste es einfach, fühlte mich vergewaltigt, und ich war die ersten Stunden des Tages völlig desorientiert. Drei Jahre sollte das so gehen. Ich war so wütend und habe alles versucht, diesem Gefängnis zu entkommen. Meiner Mutter habe ich gesagt, dass meine Augen immer schlechter würden, aber sie war cool und ging mit mir zum Optiker, um eine Brille anzupassen. Grausam. Meine Mama hätte auf gar keinen Fall zugelassen, dass ich meine Lehre abbreche. Die Brille wollte ich aber auch nicht aufsetzen, das war absolut uncool, und ich fühlte mich hässlich. Und jetzt musste ich durch. Allein dieses »Müssen« war mir
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