Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
seiner Seite hatten – solange sie an seiner Seite waren – auf jeden Fall ein gutes Leben.
Mein Gefühl für Schönheit und Ästhetik, für alles Gestalterische und Künstlerische habe ich sicher zu einem Gutteil von ihm geerbt. Ich war sein größter Fan. Schon als kleines Mädchen liebte, verehrte und begehrte ich ihn. Er sah einfach toll aus, volles Haar mit Elvis-Tolle in Blond, blitzblaue Augen, ein wunderschöner großer, sinnlicher Mund, so ein bestimmtes unverschämt-selbstbewusstes Grinsen im Gesicht. Immer edel gekleidet, toll geschnittene Anzüge, italienische Schuhe, fesche Autos – er war der Erste in der Stadt, der einen zitronengelben Chevrolet mit schwarzem Cabriodach fuhr –, und auf dem Beifahrersitz saß meist eine sehr junge, attraktive Frau. Darunter war sogar später auch mal eine Schulfreundin von mir, ausgerechnet die Tochter eines Polizisten. Das hat ihn neben ihrer Jugend wahrscheinlich besonders gereizt.
Eine seiner Freundinnen, die mich wirklich sehr beeindruckte, lernte er beim Arbeiten für das Modehaus Kraus kennen. Camilla war eine Wahnsinnsfrau aus gutem Hause: schlank, groß, rote Haare, Wespentaille, großer Busen, eine Granate. Die ging später nach Amerika und wurde von dem Alberto Vargas, der diese berühmten Pin-ups gemalt hat, porträtiert. Ja, mein Vater hatte wirklich Geschmack.
Mir hat er ja einmal gesagt, er hätte meine Mama nur wegen ihrer roten Haare und ihrer Brüste geheiratet. Eine tolle Information für ein Kind! Aber gut, er war eben nicht besonders fürsorglich. Doch die Botschaft saß fest. Das Einzige, was ich tun musste, damit er mich auch liebte und anschaute, war, eine Granatenfrau zu werden. Er hat ja immer nur gute Frauen angeguckt, mich nie. Deshalb musste ich so werden, das war mir plötzlich klar. Es gab ja bei mir auch nicht viel zu gucken, denn als Kind war ich nicht wirklich so schön, eher so mittelhübsch mit Suppentopfhaarschnitt.
Kein Perfekter Start
Zu allem Überfluss bin ich nicht nur als Achtmonatskind, sondern auch noch mit einem zu kurzen Bein auf die Welt gekommen. Diese Fehlbildung lag daran, dass die Hüftgelenkskugel nicht richtig ausgebildet war. Das hatten damals viele Babys, die nach dem Krieg geboren wurden, da die Mütter während der Schwangerschaft so schlecht mit Nährstoffen und in diesem speziellen Fall mit Kalzium versorgt waren. Ich war also auch nicht normal, obwohl ich trotzdem ein süßes Wuzerl gewesen sein soll, wie meine Mama mir später versöhnlich bescheinigte. Dass ich auch noch ein paar Wochen im Brutkasten verbringen musste, hat unsere Bindung sicher nicht sehr gefördert. Damals hat man das aber eh nicht so gesehen und sich da große Gedanken gemacht. Man überlebte das eben oder nicht. Denn es ist wesentlich gefährlicher für ein Kind, wenn es im achten Monat auf die Welt kommt, also vier Wochen früher. Da finden noch sehr wichtige Reifungsprozesse statt, und früher, als es diese ganze Frühgeborenenmedizin noch nicht gab, hing alles davon ab, wie robust so ein Kind war.
Ich war es offenbar. Was blieb, war die Hüftluxation, wie die Diagnose lautete. Das hieß von klein an Gipsschale und Laufschiene. Alles in einem Alter, in dem Kinder sonst laufen lernen, herumspringen und -tanzen. Meine Mutter war dabei sehr streng, ja, hart. Sie wollte, dass ihre Tochter zwei gleich lange Beine hatte und später nicht humpeln musste.
Ich bin ihr trotzdem dankbar für diese Gewissenhaftigkeit. Denn in meiner Schulklasse hatten das später mehrere Kinder. Ich hatte ein Mädchen in der Klasse, die wurde total gehänselt wegen ihrem Humpeln – übrigens auch von mir. Das war ganz schön grausam. Da hatte die Mutter vielleicht mehr Mitleid mit ihrem Kind gehabt mit Folgen für ihr ganzes Leben.
Trotzdem hieß es für mich: die ersten Kindheitsjahre im Streckverband als Krüpperl, süßes Wuzerl hin oder her … An die Schmerzen, die damit sicher verbunden waren, kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber an eine bestimmte Szene, als ich zwei oder drei war. Die hat sich mir so eingebrannt. Wir wohnten damals in der Mansarde bei meinem Onkel, für den sie später im Büro gearbeitet hat. Ich lag in meinem Bett, und da war das Fenster, und ich habe die Sonne scheinen gesehen. Ich wollte so sehnlichst ans Licht, nach draußen, und konnte nicht, weil ich so gefesselt war. Das machte mich so unglücklich und hat sich als Erfahrung irgendwo tief eingegraben. Gefesselt und mit der Sehnsucht nach draußen, wie eine Gefangene.
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