Expect nothing!: Die Geschichte einer ungezähmten Frau (German Edition)
antun? Damals war ich siebzehn und wirklich gnadenlos. Ich hatte meinen ersten boyfriend und wollte nur noch mit dem zusammen sein und Sex haben. Nachdem ich einmal auf Sex gekommen bin, war für mich kein Halten mehr. So fühlte sich Freiheit an und Wildheit und Verschmelzen und vor allem Spielen. Warum hatte mir noch niemand früher erzählt, wie toll das ist? Das hat mich auch abgelenkt von diesem Elend zu Hause, das ich nicht als meinen Stil empfand. Ich wollte auch nicht sehen, wie sehr der Hans meine Mutter liebte und wie gut er ihr schon damals tat.
Und ich höre mich wirklich sagen: »Außerdem kannst du mir eh nix sagen, und das ist mein Haus.« Denn es gab da diese Scheidungsvereinbarung vonseiten der Obermaiers, dass das Haus mir gehörte. Also, das ist keine schöne Geschichte. Und ich habe mich später bestimmt tausendmal bei meiner Mama entschuldigt. Aber wir hatten damals einfach keinen space miteinander, uns trennten Welten. Sie war irgendwie enttäuscht von mir und dass ich mich nicht nach ihrem Bild entwickelte, einen soliden Beruf erlernte, dann einen Doktor oder einen Anwalt heiratete, um dann goldige Kinder großzuziehen. Und ich fühlte, dass sie mich nicht so sehen wollte, wie ich wirklich war. Oder vielleicht sah sie es auch, und es machte ihr Angst. Die Atmosphäre war voller Gift und Traurigkeit und Wut.
Dann waren sie draußen. Sie sind sofort gegangen mit Sack und Pack und waren so empört. Eine schlimme Geschichte. Und ich stürzte mich weiter in meine Liebesgeschichte.
Ich hatte in der Zeit, als wir drei zusammenwohnten, alles in Bewegung gesetzt, damit meine Mutter den Hans nicht heiratet. Sie hat es trotzdem getan, und ich war später so froh, dass sie nicht auf mich gehört hat. Weil, sie wurden wirklich sehr glücklich miteinander. Und der Hans hat sie so sehr geliebt, meine Mama. Zusammen haben sie sich ein gutes Leben geschaffen, und sie hat da auch ihren Frieden gefunden.
Was mich heil macht
Ich wusste in diesen ganz jungen Jahren noch nichts davon, dass die Natur heilen kann. Ich wusste auch noch nichts davon, wie sehr ich im Grunde verletzt war. Wie sehr mich der Abstand, den mein Vater zu mir/zu uns hielt, verletzte. Wie sehr mich verletzte, dass ich nicht ich sein durfte, dass ich mir nichts einbilden durfte, nichts erträumen durfte, weil mir das eh nicht zustand. Wir hatten zwar damals in Sendling auch einen Garten, den meine Mama bepflanzt hat. Da habe ich als Kind auch geholfen, weil es mir Spaß gemacht hat. Aber im Grunde war ich schon ein reinrassiges Stadtkind mit einer großen Sehnsucht und sollte noch in vielen großen, hippen Städten leben und Länder bereisen, durch Drogentrips rauschen, unglaublich intensive Zeiten mit intensiven Menschen erleben, Abschiede nehmen und immer wieder lieben, ehe dieses Saatkorn zur Natur in meinem Herz aufgehen konnte.
Heute lebe ich inmitten einer fantastischen und durch und durch heilsamen Welt. Ich lebe darin und beobachte, was darin passiert. Das bringt mich auf die Erde und manchmal auch zum Lachen. Durch das Filmen direkt vor meiner Haustür wird jede Bewegung da draußen in der Wildnis zur Kunst, ein Moment zur Ewigkeit. Denn in der Natur gibt es kein love and peace. Sie ist auch nicht immer freundlich, und wir sind mit Sicherheit auch nicht alle ihre Kinder, sonst wären wir nicht so pervers, sie zu ruinieren. Oder vielleicht tun Kinder so etwas einfach, wenn ihnen alles in den Schoß geworfen wird. Ich weiß es nicht.
Nun filme ich aber nicht, weil ich eine besondere Botschaft für diese Welt habe, obwohl der Gedanke schon schön ist, dass man mit dem, was man schafft, die Welt auch ein Stück weit bereichern kann. Nein, das Filmen ist für mich wahrscheinlich so wie für andere Menschen, Tagebuch zu schreiben, zu sich zu kommen, sich zu spüren, sich zu mitten. Es ist ein kreativer Akt, und mein Blick für alles, was um mich herum und wichtig für mich ist, wird geschärft. Nichts ist selbstverständlich. Alles, wirklich alles ist außergewöhnlich. Ich halte winzige Momente fest, beobachte jedes Stillsein, jedes Funkeln, jede kleinste Veränderung. Dieser Prozess ist wie eine Meditation und gleichzeitig atemberaubend, weil all diese Geschehnisse, dieses Leben, das zwar manchmal nur zu meinen Füßen, weit oben in den Zweigen oder ganz im Verborgenen stattfindet, so spannend ist. Diese scheinbar so unwichtigen Kleinigkeiten zu entdecken und wertzuschätzen hat mir vor vielen Jahren ein Mensch beigebracht. Dieter
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