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Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit

Titel: Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thor Heyerdahl
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hätten, dann nicht vor uns - da wir heute halb seitwärts trieben -, sondern ziemlich weit backbord vom schiefen Bug.
    Tragödie. Elend. Wir hatten keinen Reservestamm, der für einen neuen Ruderschaft ausreichte. Die besten Hartholzstücke zum Laschen hatten wir bei den Kanarischen Inseln über Bord geworfen. Wenn wir hier lange genug vor Treibanker lägen, würden sie uns vielleicht erreichen. Ein schlechter Scherz, eine hoffnungslose Lage. Keine Lösung. Gute Nacht allerseits! Wir müssen jetzt schlafen und an morgen denken. Es war sinnlos, mit einem halben Schaft ohne Blatt und einem anderen, das nicht funktioniert, weiterzusteuern. Das Meer konnte an Bord donnern und wieder hinaus, der Treibanker hielt den Kurs, so daß es nicht in die Hütte strömen konnte. Zwei Stunden Nachtwache, damit wir nicht von einem anderen Schiff in den Grund gefahren wurden.
    Es war hoffnungslos, in jener Nacht zu schlafen. Wir waren wieder auf der Ra I , wir erlebten wieder die letzten Nächte, als das Meer über uns die Oberhand gewann. Tonnenschwere Wassermassen donnerten auf Steuerbord gegen die Rückwand, es schäumte, brodelte, gluckste, gurgelte und gluckerte überall um uns herum, ein wahrer Strom wälzte sich über Bord, floß unter dem geflochtenen Hüttenboden, in dem breiten, tiefen Spalt zwischen den beiden Papyrusrollen, die uns über Wasser hielten. Das Wasser strömte in wilder Jagd über den Papyrus, um Ritzen zwischen den Halmen zu finden, durch die es wieder hinausfließen konnte, aber das Schilf quoll immer mehr auf, verschloß alle Ritzen und ließ das Wasser nicht abfließen, ehe neue Kaskaden über Bord brachen und die Badewanne bis zum Rand füllten.
    Ich bekam kein Auge zu, bis ich zur Wachablösung hinauskrauchen mußte; dann schlief ich sofort auf der Bambusbank vor der Hüttentür in festgebundener Sitzstellung ein. Ich erwachte mit einem Ruck und sah eine Fledermaus, nein, eine Nachteule, die Ra umflattern, bis sie zwischen Reihen von Pardunen direkt auf mich zutaumelte, als wollte sie mich angreifen. Der nächtliche Besucher flog schlecht, schlug mit dem Flügel an ein Reep, und noch ehe er auf der Bank dicht neben mir richtig aufsetzen konnte, machte er eine Bauchlandung. Armer Kerl. Das war ja eine Taube! Unsere beringte Reisegefährtin! Sie war durch das wahnsinnige Krachen von Segel und Sturzseen verscheucht worden, hatte vergeblich nach einem anderen Wohnsitz gesucht, hatte die Brücke öde und verlassen wiedergefunden; erschrocken über die Einsamkeit in ihrem Korbnest auf dem Dach, hatte sie sich bei der schlafenden Nachtwache niedergelassen. Bis Tagesgrauen saß sie dicht bei den sich ablösenden Nachtwachen, während der Atlantik ungehindert hinter der Ecke an Bord krachte und vor und hinter der Hütte wieder über Bord stürzte, so daß in Lee nur Bäche zu unseren Füßen zusammenliefen, ehe auch sie ins Meer mündeten.
    Ein merkwürdiges Fahrzeug. Der Fehler war, daß es langsam wie ein gewöhnliches Boot wasserdicht wurde, so daß das Wasser nicht mehr schnell genug durch den Schiffsrumpf sickerte.
    Auch am nächsten Tag war die Hölle los. Wir waren todmüde; wir wateten in strömendem Wasser, trugen Krüge, die auf der Sturmseite geborgen werden mußten, warfen Scherben über Bord, banden Ladung fest, die sich gelockert hatte, holten Pardunen dicht und nähten Segel - und grübelten mit rauchenden Köpfen darüber nach, wie wir die Steuerung wieder in unsere Gewalt bekommen könnten. So, wie wir unter Wasser standen und den Seen fast ausgeliefert waren, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, wann das Meer auf der ganzen Linie siegen würde; Holzwerk und Schilf wurden ja nur von Reeps zusammengehalten, und diese konnten jeden Augenblick unter der Beanspruchung reißen. Das Spiraltau, das den Papyrus zusammenhielt, war 14 mm stark, und Hütte, Mastfüße und Steuerbrücke wurden von einem 8-mm-Tau gehalten, das wie ein Zopf dreifach geflochten war. Die Indianer wollten kein dickeres Tau durch die Schilfbündel führen lassen. Wenn nicht alle Verbindungen vollkommen geschmeidig und elastisch gewesen wären, hätte uns das Meer mit derselben Kraft zerrissen, mit der es Holz zersplittert und Stahl verbiegt. Am ersten Tag konnte das Meer den Schilfballen nichts antun, sie tanzten einfach unter den Schlägen weg. Aber das Meer kannte noch einen anderen Trick. Es wälzte sich an Bord, blieb dort und drückte uns nach unten. Wir begannen in erschreckender Weise zu sinken; teils, weil sich

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