Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
hinzusehen.
Bald mußte Wachablösung sein. Ich wagte nicht eine Sekunde lang, den Blick vom Kurs abzuwenden; das Boot durfte in den Wellen nicht beidrehen, aber es mußte bald 16 Uhr sein. Da erklang hinter uns das Getöse von dem nächsten schäumenden Wasserkamm, höher denn je; nun galt es, alle Muskeln anzuspannen, damit das Steuerruder nicht umschlagen konnte. Ich fühlte, wie eine ungeheure Wasserwand den Achtersteven erfaßte und uns in die Höhe hob, immer höher - ich hielt die Nase direkt über den Kompaß, um nicht vom Kurs abzukommen. Die Ra mußte genau quer zu den Wellen liegen. Wie hoch mußten wir denn diesmal noch, ehe der schäumende Riese unter uns wegglitt? Da brauste der Kamm zu beiden Seiten, er schien vorbeizudröhnen, brodelnde, schäumende Wellen; wir schaukelten heftig und waren im Begriff, wie auf einem Wellenbrett mit einem Riesensegel wieder in wilder Fahrt nach vorn hinunter zu reiten. Da geschah es. Ein gewaltiger Knall. Ein brutales Krachen von dickem, brechendem Holz. Ein Ruck in Ruderschaft und Rumpf, und die Ra II raste unkontrollierbar, mit der Backbordseite voran, in ein Wellental.
Es war wie ein Keulenschlag auf den Kopf. Ich klammerte mich einen Augenblick an die Ungewißheit, ehe ich mich zwang, den Kopf zu drehen und dem Elend ins Auge zu blicken. Das Steuerruder! Der dicke Schaft des Ruders, den ich festhielt, war quer abgeschlagen, und das breite Blatt hing lose im Schlepp an der Sorgleine. Ich sah es nur flüchtig, ehe die Wassermassen über uns hereinstürzten, sie kamen jetzt ungehemmt auf der ganzen Steuerbordseite, wo das hochgebogene Heck sie nicht aufnehmen konnte und sie uns hochhoben.
»Alle Mann an Deck! Backbordruder gebrochen! Bring den Treibanker aus, Juri!«
Die Schute und damit die Brücke holten unter dem Wasserdruck gewaltig über, und ich ließ mich seitwärts zu dem festgebundenen Steuerbordruder hinunterrutschen, um dort die Taue zu lockern. Das Dröhnen der Wassermassen, die gegen die Hüttenwand stürzten, und die Donnerschläge des Großsegels, das umschlug und gegen den Schrägmast hämmerte, sagten den sieben Männern in der Hütte mehr als jeder Ruf von der Brücke, und schweigsam und verbissen stürzten sie heraus, mit losen Sicherheitsleinen, die sie um den Leib banden.
»Welchen Treibanker?«
»Den größeren.«
Ich hatte die Zurrings des unbeschädigten Steuerruders aufbekommen, aber die beiden Bäume aus Hartholz, in denen es oben und unten ruhte, waren verrückt, so daß sich der Ruderschaft nicht bewegen ließ. Eine neue Sturzsee brach über uns herein - und noch eine. Es krachte gefährlich im Mast, und Wind und Wasser zerrten Segel und Papyrusboot in verschiedene Richtungen.
»Fier weg das Großsegel!«
Um die Geschwindigkeit zu erhöhen, hatte Norman neulich ein kleines Toppsegel auf einer Bambusspiere gehißt. Sie war schon zersplittert, und das Toppsegel flatterte und peitschte wie ein geplatzter Ballon gegen das Großsegel.
»Holt das Großsegel nieder, ehe es zerreißt!«
Norman übernahm das Kommando auf dem Vorderdeck, kletterte selbst in die Mastspitze und kappte das Toppsegel. Fünf Mann ergriffen das dickeGroßf all, um das Großsegel niederzuholen, und allmählich senkte sich die sieben Meter lange Rahe von der Mastspitze. Aber anstatt sich herunterfieren zu lassen, wurde die schwere Stange von dem großen windgeblähten Segel nach vorn hochgehoben, und alle Mann auf dem Vorderdeck hatten mit zehn hochgereckten Armen und ihrem Körpergewicht genug zu tun, damit das Großsegel sich nicht wie ein Drachen über den Wellen ausbreitete. Ein neuer Brecher begrub uns.
»Den Treibanker raus, zum Teufel!«
»Die Wellen haben das Reep verheddert!«
»Dann wirf inzwischen den kleinen aus, ehe uns die Seen in Stücke schlagen!«
Noch eine See über das ganze Boot - und noch eine größere. Zum Glück hatten wir uns so gedreht, daß wir mit der Steuerbordseite der Hütte quer zu den Kaskaden lagen. Dort war keine Türöffnung, und wir hatten die Längswand mit Segeltuch abgedeckt, gegen die das Meer nun bis zum Dach hämmerte.
»Der kleine Treibanker ist draußen«, kam es triumphierend von Carlo.
Aber die Bremskraft war zu gering; der kleine Sack, der nun im Schlepp hing, bremste nicht genug, um das Heck des wasserschweren Papyrusbootes herumdrehen zu können. Juri und Carlo standen achtern auf dem Papyrus bis zur Hüfte im Wasser und verschwanden immer wieder ganz in den Schaumwirbeln, während sie fieberhaft arbeiteten,
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