Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
Segel immer noch auf dem Meer vorherrschte, schrieb man den alten Kulturvölkern für gewöhnlich fast unbegrenzte Wanderungsmöglichkeiten zu. Magalhäes, Captain Cook und zahlreiche andere hatten die Erdkugel mehrere Male nur mit Hilfe des Windes umrundet. Warum also sollten es die Alten nicht gekonnt haben? Aber dann haben wir Propeller- und Düsenflugzeuge erfunden, und weil die Welt für die heranwachsenden Generationen immer kleiner wurde, erhielten wir den Eindruck, sie sei in früheren Zeiten viel größer und in der Zeit vor Kolumbus endlos und unwegsam gewesen.
Das Jahr 1492 übt auf alle, die zur Schule gegangen sind, eine magische Wirkung aus. Da entdeckte Kolumbus Amerika. Da erst wurde die Erde rund. Vor dieser Zeit waren Erde und Meer flach, so daß alles, was Strom und Wind trieb, am Rande abstürzen mußte. Sicherlich, wir wissen heute, daß die Erde auch vor Kolumbus rund war, aber sie war sozusagen nicht kugelrund, eher eiförmig, und auf jeden Fall sollte alles abstürzen, was zu weit aufs Meer geriet.
Vor 1492 konnte man nichts über den Abgrund in das Unbekannte schwimmen lassen, nicht einmal eine Binse. Nachdem Kolumbus unseren Erdball abgerundet hatte, stürzte nichts mehr vom Rande ab. Alles, was über den Atlantik schwimmen konnte, trieb auf der anderen Seite an Land, an die neue Küste. Zu der Insel, an die Kolumbus selbst getrieben war, oder an die lange tropische Küste kurz dahinter. Kolumbus fuhr wie ein St. Peter mit den Schlüsseln zu der Neuen Welt. Nach ihm kamen Karavellen und Tausende von anderen kleinen Segelschiffen, und die Abenteurer des 20. Jahrhunderts haben den Atlantik sogar scharenweise mit Jollen, Schlauchbooten, Schwimmautos und Kajaks überquert.
Kolumbus hat das Patent für den Atlantik erhalten. Vor ihm konnte man Amerika nur barfuß oder mit Mokassins erreichen, indem man dem Eisrand folgte, der sich endlos über die Einöde Sibiriens, der allerkältesten Arktis, erstreckt. Hier oben konnte keiner Baumwolle pflanzen oder Städte mit Ziegelsteinhäusern bauen. Darin waren sich alle einig. Aber wie kamen fellbekleidete Zuwanderer auf die Idee, Baumwolle anzubauen und daraus Fäden zu spinnen und Kleider zu weben, als sie in die einschläfernden Tropen kamen? Und wie kamen sie in den warmen Breiten auf die Idee, Stroh mit Lehm zu mischen, Ziegelsteine herzustellen, um in richtigen Häusern zu wohnen? Hier hört die Einigkeit auf und beginnt der Streit zwischen allen, die eine Antwort gesucht haben.
Einer der letzten, der das Kulturvolk des Altertums ganz ungehemmt um die Erde segeln ließ, war der Engländer Percy Smith. Seiner Ansicht nach hatten die alten Kulturen in Mexiko und Peru so viele Züge mit den Kulturvölkern des alten Ägypten gemein, daß irgendeine Form von überseeischem Kontakt bestanden haben muß. Als er die gleichen eigentümlichen Übereinstimmungen auch auf der Osterinsel und auf den unmittelbar vor Peru liegenden Inseln entdeckte, nahm er sein Lineal und seine flache Weltkarte und zog einen Strich von Ägypten durch das Rote Meer, den Indischen Ozean und den Pazifischen Ozean nach Polynesien und Südamerika. So sind die Sonnenanbeter nach Amerika gekommen, schrieb er. Über die Osterinsel.
Andere nahmen sich einen runden Globus vor und schüttelten den Kopf. Der runde Globus zeigte, daß der Pazifische Ozean eine vollkommene Halbkugel ist, die sich rund um den halben Erdkreis erstreckt. Wenn ägyptische Seefahrer 4.000 km nach Osten gefahren wären, hätten sie sich allmählich Indien genähert. Dann hätten sie bis zur Osterinsel noch genau den halben Erdumfang vor sich gehabt. Wenn dagegen südamerikanische Seefahrer von der Küste des Inkareiches 4.000 km nach Westen gefahren wären, hätten sie keineswegs mehr den halben Erdkreis vor sich gehabt, sondern wären schon längst auf der Osterinsel gewesen. Mit dem Kon-Tiki-Floß, das nach einem Inka-Vorbild gebaut war, fuhren wir von der Küste des Inkareiches 8.000 km nach Westen und passierten die Osterinsel auf halbem Wege.
Die Osterinsel. Die einsamste bewohnte Insel der Welt. Sie liegt vor Peru und nicht vor Ägypten, dieser wellenumkränzte Lavaklumpen, auf dem fast tausend verlassene Riesenstatuen schweigend und breit in den Himmel ragten, als unsere Rasse schließlich in diese Gegend kam und 1722 die Insel »entdeckte«. Wir nennen sie »Osterinsel«, weil sie zu Ostern gefunden wurde. »Nabel der Welt«, nannten sie die Polynesier, als sie in ihren ausgehöhlten Holzkanus zu der
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