Expedition Ra - Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit
das Boot hereinbrachen. Alles Wasser, das ins Boot hineinschoß, war in derselben Sekunde durch tausend Ritzen im Boden wieder verschwunden. Es gab keine Kanten an dem Boot, keinen hohlen Rumpf; die vier auf dem flachen Deck saßen direkt auf dem dicken Boden, und nur vorn und achtern lief das Boot in einer nach oben gebogenen, rüssel-förmigen Spitze aus, damit es besser die Wellen abreiten konnte. Es ritt auf ihnen wie ein goldener Schwan.
Es war das erste Mal seit hundert Jahren, daß solch ein Schilfboot auf der Osterinsel zu Wasser gelassen wurde. Gebaut hatten es die Ältesten der Insel, die uns einen Bootstyp zeigen wollten, den ihre Großväter für den Fischfang auf dem Meer hergestellt hatten. Es war eine Miniaturausgabe der riesigen Fahrzeuge, die aus der vergangenen Blütezeit der Insel
abgebildet waren; aber im Verhältnis zu den stoßzahnförmigen Einmannbooten, Pora , die vor Einführung des Christentums gegen Ende des vorigen Jahrhunderts von der Inselbevölkerung bei den Vogelmann-Wettbewerben benutzt wurden, war es von imposanter Größe. Die Eingeborenen der Osterinsel standen andächtig da, als sie die vier alten Fischer auf das Meer hinauspaddeln sahen, in einem Boot, das ihnen durch die Legenden der Väter so vertraut war und das für sie das gleiche bedeutete wie die Mayflower für den einfachen Amerikaner oder die Wikingerschiffe für uns im Norden. Das winzige Fahrzeug schlängelte sich wie eine Luftmatratze über die Seen, auf der die Mannschaft im Trocknen sitzt; auf und ab, über die Wellen und um sie herum, von welcher Seite sie auch kamen. Als die vier braunen Körper in dem goldenen Boot die Landzunge umrundeten, wo wir im Begriff standen, die erste umgestürzte Riesenstatue der Osterinsel wieder aufzurichten, munkelte mehr als einer der Alten am Ufer mit funkelnden Augen, die tote Vergangenheit der Insel sei dabei, wieder aufzuerstehen.
Für mich dagegen wurde die Erinnerung an Fahrzeuge hinter dem Horizont, weit draußen im Osten, wieder heraufbeschworen. Die Ähnlichkeit mit den Booten, die ich auf dem Titicacasee gesehen hatte, war auffallend, und noch größer war die Ähnlichkeit mit den mondsichelförmigen Schilfbooten, die das alte Mochica-Volk an der südamerikanischen Küste des Pazifischen Ozeans so häufig in seiner realistischen Töpferkunst abgebildet hatte. Das Wasser, das an diesem Strand gegen unsere Beine rollte, kam direkt von der südamerikanischen Küste. Ich war ja selbst von diesen ewig rotierenden Wassermassen hier vorbeigetrieben worden. Ich schöpfte Verdacht.
In dem erloschenen Krater des Vulkans Rano Raraku trieben sechs Männer einen acht Meter langen Stahlbohrer in den Boden, dort wo der Sumpf begann.
Rings um uns lag in der Kraterwand eine Menge unfertiger Steinriesen, die davon zeugten, daß die Bildhauer ihre Arbeit plötzlich abbrechen mußten. Bei einigen waren bis auf den Rücken, der noch als Teil der Kraterwand im Berg lag, alle Details fertiggestellt. Sie lagen mit geschlossenen Augen da und hielten die Hände über den Bauch verschränkt, wie in einem gigantischen Dornröschenschlaf. Andere waren schon ganz frei gehauen und standen aufrecht, damit die Bildhauer den plumpen Rücken beenden konnten, der wie alle Teile des Riesen elegant und geschwungen werden sollte. Sie standen willkürlich verstreut auf den Felsvorsprüngen, einige bis zum Kinn durch Erdrutsche verschüttet. Sie standen mit schmalen verbissenen Lippen da und reckten sich in alle Richtungen empor, als ob sie kritisch abschätzten, womit die sechs Zwerge aus Fleisch und Blut unten am Ufer des Kratersees beschäftigt waren.
Zoll um Zoll glitt die lange Stahlspitze in den weichen Schlamm. Regen und zehntausendjähriger Schlamm hatten den Grund des tiefen toten Kraters wieder gefüllt, und jetzt lag er wie ein spiegelblanker blauer See da. Es sah aus, als ob auf der Fläche kleine weiße Passatwolken vorbeitrieben und in einem ewigen Zug von Osten nach Westen im grünen Schilf verschwanden. Drei solcher regengefüllter Kraterseen, von hohem Schilf umkränzt, waren der einzige Wasservorrat auf der Osterinsel. Hier holten die Inselbewohner schon ihr Trinkwasser, als sie damals den ursprünglichen Wald abbrannten und die Landschaft in offene Gras- und Farn-ebenen verwandelten, wo alle Bäche allmählich in dem porösen Lavagrund versickerten.
Der Schlamm, den wir mit dem langen Bohrer heraufholten, berichtete eben darüber sehr viel. Am unteren Ende der Spitze saßen ein
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