Exponentialdrift - Exponentialdrift
bei Ihnen.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Sein Name ist vermutlich Armin Pallens. Er hatte ebenfalls ein apallisches Syndrom, und zwar von 1988 bis 1990, und nach seinem Erwachen – halten Sie sich fest – behauptete er, in Wirklichkeit ein Außerirdischer zu sein.«
Irgendwie tröstete sie das. »Scheint häufiger vorzukommen, oder?«
»Offengestanden, ich habe das erste Mal davon gehört«, sagte Doktor Röber. »Und das, was ich weiß, hat mir die Sekretärin meines alten Professors erzählt. Der seinerseits behauptet, den Mann nicht zu kennen. Dabei war es sein Patient. Und außerdem hat er gelogen, das war ihm anzusehen.«
»Seltsam«, grübelte Evelyn. »Was hat das zu bedeuten?«
Der Arzt hob in einer hilflosen Geste die Arme. »Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung.«
So vergingen die Wochen, und endlich war der vierte Advent da, der Tag vor Heiligabend. Ein Vormittag Hektik noch, das Nachzüglergeschäft, dann war es geschafft. Evelyn Abel ruhte aus und überließ das Schmücken des Weihnachtsbaumes Bernhard und Theresa, die sich der Aufgabe mit Begeisterung widmeten. Doch, es war nicht das Schlechteste, mit einem Ehemann zusammenzuleben, der sich für einen Außerirdischen hielt.
Das Telefon klingelte.
Sie ging ran und kam gleich darauf damit ins Wohnzimmer, die Sprechmuschel abdeckend. »Es ist für dich. Yves Lehmann.«
Der Mann, der für sie immer Bernhard Abel bleiben würde, sah auf. »Wer?«
»Dein ehemaliger Chef. Er will uns zwischen Weihnachten und Neujahr besuchen.« Sie zögerte, ehe sie hinzufügte: »Ich weiß nicht wieso, aber er klingt beunruhigt.«
Fortsetzung folgt ...
31. Dezember 2001
Zum letzten Mal ist die Deutsche Mark alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel in Deutschland.
1. Januar 2002
Ab Mitternacht sind an Geldautomaten erstmals die neuen Euro-Scheine erhältlich.
2. Januar 2002
In Wilhelmshaven laufen die ersten Schiffe der Bundesmarine, die sich am Anti-Terror-Krieg beteiligen sollen, mit Richtung Horn von Afrika aus.
FOLGE 15
Z U WISSEN, DASS die eigenen Erinnerungen nicht wirklich die eigenen Erinnerungen waren, schuf eine eigentümliche Distanz zu allem, was man tat, sagte oder dachte. Es war nicht einmal unangenehm und einem Zustand des Gleichgewichts näher als alles andere, was er erlebt hatte, seit er ... angekommen war. Störend nur, daß er so gut wie nichts wußte über die Zeit davor oder über den Grund, aus dem er hier war.
Nicht einmal an seinen wirklichen Namen konnte er sich erinnern. Das war sicher nicht so geplant gewesen, andererseits aber auch nicht tragisch, denn die beiden Menschen, die ihn, weil sie sich dem früheren Träger dieses Körpers verbunden fühlten, aufgenommen hatten, hätten vermutlich ohnehin keinen anderen Namen akzeptiert.
Einstweilen war es ein angenehmes Leben. Die Frau war, abgesehen davon, daß ihr viel Unrast und Unruhe innewohnte, fast so etwas wie eine Gefährtin, und das Mädchen ließ keinen Zweifel daran, daß sie für ihn mehr Sympathie empfand als für den ursprünglichen Bernhard Abel. Er betrachtete sie manchmal, ohne daß sie es bemerkte, und in diesen Momenten beschlich ihn eine deutliche Ahnung, daß dieses Kind etwas mit seiner Mission zu tun hatte.
Nun war also Yves Lehmann zu Besuch gekommen, Bernhard Abels ehemaliger Chef. Er war älter, als er ihn in Erinnerung behalten hatte. Seine rauchgrauen Haare waren dünner geworden, sein Gesicht kantiger, und er räusperte sich immer noch nach jedem Satz, als müsse er demGesagten eine akustische Interpunktion hinzufügen. Er hatte Evelyn einen Blumenstrauß mitgebracht, ihm eine große Glückwunschkarte, auf der fast alle früheren Kollegen unterschrieben hatten, und Theresa ein Geschenk, eingepackt in Harry-Potter-Geschenkpapier . »Weil es wie Zauberei ist, daß dein Papa wieder aufgewacht ist«, erklärte er, was einen Anflug von Schrecken über ihr Gesicht huschen ließ. Dann standen sie da und sahen zu, wie Theresa das Päckchen auspackte. Es war eine Anziehpuppe in einem Karton mit japanischen Schriftzeichen darauf.
»Sie kommen immer noch viel herum in der Welt?« fragte Bernhard.
Lehmann sah ruckhaft hoch. »Wie? Ach ja. Ja, das halbe Jahr auf Achse, mindestens. Zum Leidwesen meiner Frau.«
Sie gingen ins Wohnzimmer. Der Weihnachtsbaum ließ es noch kleiner wirken, als es ohnehin war. Auf dem Couchtisch lag eine Zeitung vom September mit einem Bild des einstürzenden World Trade Centers, ein Anblick, der Lehmann in düstere Stimmung versetzte.
Weitere Kostenlose Bücher