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Exponentialdrift - Exponentialdrift

Titel: Exponentialdrift - Exponentialdrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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buchstäblich von der Landkarte gefegt hätte: Einen Aufschlagkrater von den Abmessungen einer Großstadt hinterlassend, hätten die Druckwellen und Erdstöße der Explosion noch in 800 Kilometern Entfernung Verwüstungen angerichtet. Hätte der Asteroid die Erde getroffen und wäre er dabei nur etwas größer gewesen, sagen wir, eintausend Meter, hätte an diesem Montag morgen nach den Weihnachtsferien das Leben der Menschheit und der meisten höheren Lebensformen auf Erden geendet.
    Beunruhigenderweise war der Asteroid 2001-YB5, der größte seit Jahrzehnten, der in solcher Erdnähe passierte, erst am 26. Dezember 2001 entdeckt worden. Die eventuelle Vorwarnzeit hätte also gerade einmal zwölf Tage betragen.
    In den Medien fand diese unheimliche Begegnung so gut wie kein Echo; der »Tagesschau« etwa war sie nicht einmal eine Kurzmeldung wert. Der Vorfall wurde fast ausschließlich in Astronomenkreisen diskutiert.
    »Erinnert ihr euch an den Film Deep Impact? Und an den anderen, mit Bruce Willis? Armaggeddon? « fragte Wolfgang Krentz, von seiner Rauchpause draußen zurück und sich an einem Becher frischen Kaffees wärmend.
    Sein Kollege Manfred Henne winkte ab. »Der war hanebüchen. Deep Impact war zwar kitschig, aber astronomisch wenigstens einigermaßen korrekt.«
    »Bloß, daß die mehr Vorwarnzeit hatten als wir mit YB5«, meinte Heermann, der es nicht mochte, wenn man ihn bei seinem Vornamen nannte. »Ich meine, man muß sich mal anschauen, wer diese Asteroiden entdeckt. Das geschieht doch alles auf Hobby-Basis.«
    Krentz nickte, die Hände um seine Tasse geschlossen. »Wißt ihr, was die zwei Filme zusammen gekostet haben?«
    »Schätze, für unsere Renten würde es reichen.«
    »An die zweihundertfünfzig Millionen Dollar.«
    Die beiden nickten einander zu. »Locker«, sagte Heermann.
    »Und wißt ihr, was ein wirklich funktionierendes globales Frühwarnsystem für Asteroiden kosten würde?«
    »Unsummen vermutlich.«
    Krentz sah in seinen Kaffee wie in ein Orakel. »Die Hälfte davon. Nicht mal.«
    Aufregung. Argumentationsbedarf. Heermann mochte es nicht, wenn jemand anderer eine Sache eher durchschaute als er selber, und Henne hatte kein wirkliches Verhältnis zu Geld. Aber auf den Bildschirmen stand die Internetseite des Near Earth Asteroid Tracking-Programms , ein kleines Java-Applet zeigte den Vorbeiflug von 2001-YB5, der in den Dimensionen des Sonnensystems wie ein Volltreffer aussah, und irgendwann glaubten sie es ihm.
    »Vielleicht muß das wirklich einfach passieren«, orakelte Wolfgang Krentz weiter. »Vielleicht muß erst ein großer Brocken irgendwo einschlagen, damit die Dinge in Bewegung kommen. Anders begreifen wir es ja nicht. Ich meine, was wäre gewesen, wenn die Türme des World Trade Center stehengeblieben wären? Alles hätte sich auf die Schultern geklopft und gesagt, schaut her, sogar dem Aufprall eines Verkehrsflugzeugs haben sie standgehalten. Was sind wir doch für tolle Architekten. Weiter wäre nichts passiert, bis die Terroristen das nächste Mal eben mit einer Atombombe gekommen wären statt mit Teppichmessern.«
    »Dafür hat jetzt dieser Texaner einen Vorwand, um überall in der Welt den starken Mann zu markieren«, sagte Heermann, der von uneingeschränkter Solidarität nicht viel hielt. »Ich habe meine Zweifel, ob das besser ist.«
    Henne fing an, mit seinem Stuhl zu wippen. »Wir sind einfach eine streitsüchtige Spezies.«
    »Genau«, nickte Wolfgang Krentz. »Das einzige, was imstande wäre, die Menschheit zu einen, wäre eine Bedrohung aus dem All. Solange es die nicht gibt, werden wir nicht aufhören, uns zu zerfleischen. So sind wir nun mal.«
    Dann schwieg er und nahm einen Schluck Kaffee.
    Er hatte ohnehin schon zuviel gesagt.
    Fortsetzung folgt ...

15. Januar 2002
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, daß das Verbot des Schächtens die Religions- und Berufsfreiheit islamischer Metzger verletzt und aufgehoben werden muß.
    17. Januar 2002
Das Berliner Abgeordnetenhaus wählt einen neuen Senat aus SPD und PDS mit dem Sozialdemokraten Klaus Wowereit als Regierendem Bürgermeister. Wirtschaftssenator wird Gregor Gysi.

FOLGE 17
    S IE KAMEN. Anna duckte sich tiefer in die Kiste. Der Deckel sank bis auf einen schmalen Schlitz herab, den ein kleiner Keil aus zwei Stück Pappe sicherte. Jetzt hieß es, bewegungslos zu bleiben, leise zu atmen und vor allem zu lauschen.
    »... übrigens ein Anruf von Holger.« Schwere Schritte auf dem Holzboden. »Er will kommende

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