Exponentialdrift - Exponentialdrift
Anfang Dezember da und kein Mensch erklärt mir irgend was, aber Kaffee machen kann ich schon. Tee wäre schwieriger.«
»Dann einen Kaffee, bitte«, lächelte Röber. Er nahm Platz und legte die Mappe mit den Unterlagen neben sich. Es war eine Klarsichtmappe, die Seite mit dem Bild des mysteriösen Armin P. lag obenauf, und so kam es, daß die Sekretärin, als sie ihm den Kaffee hinstellte, einen Blick darauf warf und meinte: »Ach, Sie kommen wegen ihm.«
Jürgen Röber war mehr als verblüfft. »Wie bitte?«
Sie tippte auf das alte Porträt. Ihr Fingernagel war blau lackiert, farblich passend zu den Haaren. »Armin Pallens. Das ist er doch, oder?«
»Wenn Sie es sagen.« Pallens hieß er? Damit ließ sich vielleicht etwas anfangen. »Es wundert mich, ehrlich gesagt, daß Sie ihn kennen.«
»So begriffsstutzig bin ich nun auch wieder nicht. Zur Zeit geht’s ja nur um ihn. Das heißt, eigentlich um seinen Nachfolger.«
»Seinen was?«
Sie betrachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. »Sagen Sie bloß, Sie kennen die Story gar nicht.«
Röber schüttelte matt den Kopf. »Aber sie klingt interessant.«
»Interessant? Das ist ein Krimi, sag’ ich Ihnen.« Sie kehrte an ihren Schreibtisch zurück, zog ein Notizbuch aus der Schublade und begann, darin zu blättern. »Hier notier’ ich alles, was ich so rausfinde«, erklärte sie währenddessen. »Ich meine, muß ich ja, wenn niemand sich die Zeit nimmt, mir irgend was zu erklären. Also, hier, passen Sie auf. Armin Pallens, geboren 1967. Hat 1988 einen Motorradunfall, liegt zwei Jahre im Koma. Apallisches Syndrom. Jetzt kommt’s: Im August 1990 wacht er wieder auf, völlig überraschend, erholt sich und so weiter, bloß hat die Sache einen kleinen Haken: Er ist fest davon überzeugt, daß er nicht Armin Pallens ist, sondern ein Außerirdischer.«
»Ein Außerirdischer?«
»Cool, oder? Und er hat sich das schlau zurechtgelegt. Als ihn der Professor nämlich fragt, ob ein Außerirdischer nicht grüne Haut oder wenigstens spitze Ohren haben sollte, hat er erklärt, daß er sozusagen nur die Seele eines Außerirdischen ist, die sich im Körper eines Menschen befindet. Also, der richtige Armin Pallens, sein Bewußtsein oder was auch immer, das war sowieso dabei, zu sterben, und der Körper war gewissermaßen übrig, wie eine freigewordene Wohnung. Und er ist eben eingezogen.« Sie lächelte breit, und mit ihren blauen Haaren sah sie einen Moment selber ziemlich außerirdisch aus. »Kann man schwer dagegen argumentieren, oder?«
Jürgen Röber hatte das Gefühl, daß das Rattern seiner Gedanken unüberhörbare Geräusche verursachen mußte. »Eine bemerkenswerte Wahnvorstellung, in der Tat.« Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten? Was hatte das mit Bernhard Abel zu tun, seinem eigenen Patienten, der auch behauptet hatte, nicht er selber zu sein? Und was hatte diesen Armin Pallens bewogen, Abel aufzusuchen?
»Aber der größte Hammer kommt erst noch«, fuhr die junge Sekretärin fort, der niemand irgend was erklärt hatte und die doch alles zu wissen schien. »Und jetzt wird’s richtig gruselig. Auf einem Kongreß so um 1995 herum trifft unser Professor nämlich einen Kollegen, und sie erzählen sich bei einem Bier oder so ihre abstrusesten Fälle. Und da erzählt der Kollege von einem Komapatienten, der plötzlich erwacht ist und behauptet, ein Außerirdischer zu sein. Bloß war das 1979 und in England.«
»Hmm.« Röber spürte unerwartete Skepsis. »Das Gefühl, ein Außerirdischer zu sein, könnte Ausdruck eines veränderten Körpergefühls nach der Komaerfahrung sein.«
»Haben die beiden auch erst gedacht. Bloß waren die Fälle einander unglaublich ähnlich, bis hin zu einem Wort, mit dem es beide Patienten schrecklich wichtig hatten – Exponentialdrift . Im Englischen wie im Deutschen, übrigens. Wobei keiner weiß, was es heißen soll.« Sie gab ein gluckerndes Kichern von sich. »Und dann haben sie nachgeforscht und noch drei Fälle gefunden. Alle in den USA, in den Jahren 1968, 1957 und 1946. Merken Sie was?«
»Immer in einem Abstand von elf Jahren.«
»Genau.« Sie klappte ihr Notizbuch zu. »Und jetzt haben wir 2001. Das heißt, der nächste Außerirdische ist fällig.«
Fortsetzung folgt ...
17. Dezember 2001
In Banken und Sparkassen werden erstmals Starterkits mit Euro-Münzen im Wert von 20 DM verkauft. Damit bekommen die Bürger der Eurozone das künftige Bargeld erstmals in die Hand.
20. Dezember 2001
Der UN-Sicherheitsrat
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