Exponentialdrift - Exponentialdrift
vierzig Jahre her, seit Frank Drake mit dem Green Bank Observatorium das erste Mal nach Signalen außerirdischer Zivilisationen gesucht hat. Wir haben es satt, zu warten. Wir haben beschlossen, das Signal zu erzeugen .«
»Wer ist wir?«
»Wir sind zu viert. Wir kennen uns seit der Schule. Einen kennst du. Yves Lehmann, der ehemalige Chef deines Mannes. Seine Firma ist heute Weltmarktführer für bestimmte Komponenten, die man in hochpräzisen Steuerungsanlagen braucht. Die werden in allen möglichen Anlagen verwendet, von Verpackungsstraßen bis hin zu Fertigungsanlagen für Mikroprozessoren, aber worauf es ankommt ist, daß sie in alle großen Radioteleskope der Welt eingebaut sind, ausnahmslos. Diese Komponenten – und die Software dazu.«
Sie glaubte zu begreifen. »Ihr wollt deren Computer manipulieren.«
»Ja. Das heißt, nein. So einfach ist das nicht. Die Leute in verschiedenen Observatorien setzen unterschiedlichste Computer und Software ein. Zum Teil schreiben sie die Programme selbst. Da kann man nichts manipulieren, ohne daß es auffiele.«
»Aber wie macht ihr es dann?«
»Über die Steuerung. Für Radioteleskope ist es entscheidend, Neigung und Ausrichtung der Antenne auf Bruchteile von Grad genau bestimmen zu können. Außerdem braucht man die genaue Zeit, die Atomzeit am besten. Erst anhand von Zeit und Ausrichtung kann man errechnen, von welchem Punkt am Himmel die Signale stammen, die man gerade empfängt. Deswegen ist die Steuerung der Mechanik überall in das Auswertesystem integriert.«
Evelyn dachte nach. War das logisch? Nein. »Die Steuerung sagt, wohin die Antenne zeigt. Aber sie hat keinen Einfluß darauf, was sie empfängt, oder?«
»Theoretisch ja. Würde auch jeder unterschreiben. Bloß ist es in heutigen Computersystemen so, daß alles miteinander verzahnt läuft und keiner richtig durchblickt. Für die Steuerung gibt es sogenannte Treiberprogramme, so ähnlich, wie wenn du bei einem PC, sagen wir, ein CD-ROM-Laufwerk einbaust. Und Lutz – auch einer von uns, ein Programmiergenie – hat einen Weg gefunden, über eine den meisten völlig unbekannte Schnittstelle zusätzliche Daten in die Systeme einzuspeisen, die aussehen wie empfangene Signale. Alle Funktionen, die dazu notwendig sind, hat er in den Treibern der Steuerung versteckt. Und weil ein Internetanschluß für ein Radioteleskop obligatorisch ist, schon allein um die Atomzeit zur Verfügung zu haben, kann er mit jedem einzelnen dieser Programme kommunizieren.«
»Ihr könnt also irgend was ins Internet geben, und es wird so aussehen, als würde man es aus dem Weltraum empfangen?«
»Genau.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das klappt doch nie im Leben. Ich meine, andere Leute sind auch nicht blöd. Wieso sollen die das nicht merken?«
»Wie denn? Du siehst Radiosignale ja nicht. Du brauchst einen Empfänger dazu. Und alle Empfänger, die empfindlich genug sind, um das Signal zu empfangen, haben wir unter Kontrolle.« Er machte eine Handbewegung, als wolle er sämtliche Gegenargumente beiseite wischen. »Das wird folgendermaßen ablaufen. Wir deponieren ein paar Tage vorher entsprechende Datenpakete in allen Systemen. Per Fernüberwachung erfahren wir, welches Teleskop auf welchen Punkt am Himmel gerichtet ist. Sobald eines auf den fiktiven Sendepunkt zeigt, geben wir das Startsignal, und ab da läuft alles ohne uns ab. Das erste Observatorium entdeckt das Signal; unweigerlich, denn die entsprechenden Computersysteme überwachen Milliarden von Frequenzen gleichzeitig, filtern heraus, was nicht natürlichen Ursprungs ist, und geben Alarm, wenn sie etwas entdecken. Man telefoniert mit anderen Observatorien und bittet um Bestätigung. Die schwenken ihre Schüsseln herum und richten sie auf denselben Punkt am Himmel. Aber in deren Systemen istunser Virus auch schon aktiv, dank Atomzeit absolut synchron laufend, und in dem Moment, in dem die Steuerung die richtigen Himmelskoordinaten anpeilt, werden die angeblich empfangenen Signale an die Empfänger weitergeleitet.« Er wirkte zufrieden. »Die perfekte Illusion.«
Evelyn ließ sich das alles durch den Kopf gehen. Bernhard hatte also recht gehabt, Wolfgang und seine Freunde planten tatsächlich etwas für den 3. Juni. Etwas absolut Verrücktes. So verrückt, daß es womöglich sogar klappen würde.
»Aber was«, fragte sie schließlich, »wollt ihr eigentlich senden?«
Fortsetzung folgt ...
5. Mai 2002
Im Stichentscheid gegen den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen
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