Exponentialdrift - Exponentialdrift
sie nicht. Sie aßen zu Abend, fürstlich, und er bedrängte sie auch danach nicht.
»Du hast im Schlaf geredet«, sagte sie am nächsten Morgen und musterte ihn durchdringend. »Seltsames Zeug.«
»Schon möglich«, mußte er nach einer Schrecksekunde zugeben. »Ich habe seltsames Zeug geträumt.« Seine Begierden, die unter dünner Fassade schwelenden Sehnsüchte hatten ihn die ganze Nacht durch kafkaeske Labyrinthe irren lassen.
»Du hast von Radioteleskopen gebrabbelt und von einem Netz. Und du hast immer wieder ein Datum wiederholt. Den dritten Juni.«
Ein heißer Schmerz entlang der Luftröhre, bis hinab in die Lungen. Unmöglich, daß er davon ... unmöglich. »Bloß ein Projekt, das mir im Kopf herumgeht.«
Sie sah ihn mit einem Blick wie aus Röntgenaugen an. »Du vertraust mir nicht, stimmt’s? Seit ich dich kenne, hast du nie etwas von dir erzählt. Immer lenkst du ab, wenn dasThema darauf kommt.« Jedes Wort war wie ein elektrischer Schlag. »Du hast zwei Jahre mit mir verbracht, aber du vertraust mir nicht einmal so weit, daß du mir erzählen würdest, was dich die ganze Nacht rotieren läßt wie einen Kreisel.«
Er starrte sie an, mit brennendem Gesicht. Vertrauen. Das war es. Das war der Schlüssel. Sie hatte es intuitiv erfaßt, seinen Makel, hatte die Wunde freigelegt, an der er schon Zeit seines Leben litt, ohne daß ihm klar geworden wäre, woran es lag. An mangelndem Vertrauen. Er mußte vertrauen, um heil zu werden. Er würde ihr alles erzählen, und sie würde bei ihm bleiben.
»Ja«, sagte er, und seine bebende Hand machte Bewegungen in ihre Richtung, als sei es nötig, Evelyn zu beschwichtigen. »Du hast recht, entschuldige. Ich erzähl’ dir alles.« Es brauchte eine Weile, ehe sich die Worte einstellten, etwas zu erklären, was so lange so sorgsam gehütet worden war. »Am 3. Juni 2002, also in ungefähr zwei Monaten, werden die großen Radioteleskope überall auf der Welt ein schwaches Signal aus dem Weltraum auffangen, das eindeutig künstlichen Ursprungs ist und damit der Beweis, daß es intelligentes außerirdisches Leben gibt. Diese Nachricht dürfte erst einmal alles andere – Nahostkrise, Kirch-Pleite, Arbeitslosigkeit – aus den Schlagzeilen verdrängen. Aber dann wird man die Botschaft entschlüsseln, die in dem Signal enthalten ist. Und herausfinden, daß die Außerirdischen der Menschheit feindlich gesinnt sind.«
»Was ist das?« fragte Evelyn Abel. »Ein neuer Kinofilm?«
»Die Wirklichkeit. Das 21. Jahrhundert. Wahrscheinlich wird es schon am 4. Juni in der Tagesschau kommen. Das Project Phoenix , der Nachfolger des SETI -Projekts, hat die Regel aufgestellt, daß die Entdeckung eines Signals, das von einer außerirdischen Zivilisation stammen könnte, unverzüglich veröffentlicht werden muß.«
»Du hast nie erwähnt, daß du Hellseher bist.«
Seine Hände bewegten sich über die Bettdecke, auf vergeblicher Suche nach Zigaretten. »Das hat mit Hellsehen nichts zu tun. Man wird das Signal mit Radioteleskopen überall auf der Welt empfangen, schwach, aber eindeutig, mehrere Stunden lang. Bloß wird es in Wirklichkeit kein Signal geben.«
Fortsetzung folgt ...
FOLGE 31
E S WAR EINE absurde Situation, fand Evelyn Abel. Hier lag sie, halbnackt, in einem viel zu weichen Hotelbett, mit der Aussicht auf eine sonnenbeschienene, viel zu liebliche Landschaft und ein viel zu üppiges Frühstück, neben ihrem Liebhaber, nicht nur mit Wissen und Billigung, sondern sogar auf Drängen ihres Mannes, der seit einem halben Jahr behauptete, ein Wesen von einem anderen Stern zu sein – und mußte sich schon wieder außerirdischen Kram anhören! »Ich verstehe ehrlich gesagt kein Wort. Wie kann ein Signal aufgefangen werden, das es nicht gibt?«
»Das ist es gerade, was ich dir erklären will. Wenn du dich in der Welt umschaust, was siehst du? Menschen, die Krieg um ein paar Quadratmeter Wüstensand führen. Menschen, die andere in die Luft sprengen, weil sie einen anderen Gott anbeten. Menschen, die ganze Landstriche verheeren, um den Börsenkurs eines Unternehmens zu steigern. Der reine Wahnsinn, wohin man blickt. Wir brauchen dieses Signal, dringend. Wir brauchen feindliche Außerirdische, weil nur das uns dazu bringen wird, aufeinander zuzugehen und zusammenzuarbeiten statt uns zu bekämpfen.«
Sie sah ihn an, Ewigkeiten, wie es ihr vorkam, und begriff, daß ihm damit todernst war. »Ein Schwindel. Das Signal wird ein Schwindel sein.«
Er nickte beklommen. »Es ist über
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