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Exponentialdrift - Exponentialdrift

Titel: Exponentialdrift - Exponentialdrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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empfiehlt ausdrücklich, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, um festzustellen, ob die Art und Weise seines Zustandekommens verfassungsgemäß war.
    21. Juni 2002
Die Weltgesundheitsorganisation erklärt die Kinderlähmung in Europa für besiegt.

FOLGE 39
    S IE ERWARTETEN IHN schon, als er bei dem kleinen Dorf in der Nähe von Bremen ankam. Einträchtig standen sie an der Bushaltestelle, der Engländer, der Borsa hieß, und der Mann, der im November vor der Tür gestanden hatte. Der schüttelte Abel die Hand und gab dabei einen gutturalen Laut von sich, der klang wie »Mmua de-hi« .
    »Angenehm, Abel«, sagte Abel irritiert.
    Der andere lächelte. »Das war nicht mein Name. Das war der Gruß unseres Volkes, wie er aus einer menschlichen Kehle klingt.« Er trug ein graues Hemd und hatte ein großes, merkwürdig geformtes Muttermal am Hals, das Abel damals nicht aufgefallen war. »Mein Name ist Arpa.«
    »Sie erinnern sich nicht?« vergewisserte sich Borsa.
    »Nein«, bekannte Abel.
    »Dann haben Sie vermutlich auch keine Antwort?«
    Abel musterte ihn, müde von der Reise. »Ich habe eigentlich nur Fragen.«
    Die beiden sahen einander bedeutungsvoll an. »Kommt«, sagte Arpa.
    Es war kein weiter Weg bis zu einem schmalen Reihenhaus in einer stillen Seitenstraße. Winzige Vorgärten, Mauern aus roten Ziegeln, ein umgestürztes Dreirad auf dem Nachbargrundstück. Arpa schloß auf und ging vor in eine Wohnung, aus der ihnen widerlich süßlicher Gestank entgegenschlug.
    Abel spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Das war etwas anderes als verschimmeltes Geschirr, ungewaschene Wäsche oder übervolle Mülleimer, wie sie in einemMännerhaushalt eben vorkommen. Das war der Gestank von etwas Furchtbarem.
    Gleich darauf sah er es. Die ganze Wohnung stand voller riesiger, gläserner Terrarien, die mit geradezu unglaublichen Mengen von Ratten angefüllt waren, grauen, wuselnden Massen, die den vorhandenen Platz bis fast auf den letzten Kubikzentimeter füllten. Die Tiere drückten sich gegenseitig praktisch tot, wie sie übereinander wegkrabbelten und einander gegen die Scheiben preßten. Abgebissene Schwänze, schwärende Wunden und Stellen, an denen der Pelz ausging, waren noch die harmlosesten Anzeichen brutaler Kämpfe. Wenn man genauer hinschaute, sah man am Boden der Kästen schichtenweise reglose, offensichtlich tote Tiere. Als Abel an etlichen etwas entdeckte, was er für fortgeschrittene Verwesung hielt, hörte er auf, genauer hinzuschauen.
    »Das ist jetzt der, ich glaube, siebte Durchgang«, erklärte Arpa im Plauderton. »Ich fange mit vier, fünf Paaren an, und im Nu wird so etwas daraus. Unfaßbar, oder?«
    Die gläsernen Kästen standen überall, in jedem Zimmer. Im Wohnzimmer ließen sie gerade mal Platz für ein Sofa und einen Fernseher, im Schlafzimmer für ein schmales Bett. Sie waren untereinander durch metallene Laufröhren verbunden, in denen Hunderte von Pfoten kratzten und krackelten. Kleine, summende Apparate hier und da schienen Atemluft in das System zu pumpen. Die Wohnung war erfüllt von leisem, vieltausendstimmigem Fiepen und Fauchen, von Geräuschen entsetzlicher Qual.
    Abel mußte sich räuspern. »Was soll das?«
    »Das war mein Versuch, eine Lösung zu finden«, sagte Arpa und fuhr mit der Hand liebkosend über einen der Kästen. »Wobei ich meine Chance damit vergeudet habe. Ich habe nichts herausgefunden, was man nicht durch simple mathematische Berechnungen genausogut hätte herausfinden können. Aber so ist das bei einer Verschmelzung,man kommt an und ist ahnungslos wie ein neugeborenes Kind. Im Grunde aussichtslos, es auf diese Weise zu versuchen.«
    »Zu versuchen? Was zu versuchen?«
    »Eine Lösung für die Menschenfrage zu finden, die von der der Entschlossenen abweicht – und trotzdem glaubwürdig ist.« Arpa seufzte. »Die Spezies der Ratten und die Spezies der Menschen haben viel gemeinsam, deshalb das hier. Beide sind Allesfresser. Beide können in jedem Lebensraum auf diesem Planeten existieren und tun es auch. Beide sind überraschend schlau – und fast unmöglich auszurotten.« Er tätschelte einen Fütterungsautomaten. »Ich versorge sie mit Nahrung, um die höhere Produktivität der Menschen zu simulieren, und mit Sexualhormonen, damit ihre Fortpflanzungsrate der menschlichen maßstäblich entspricht. Und ich achte darauf, daß kein Tier entkommen kann, nirgends. Das ist wichtig. Und es genügt. Sie sind nicht imstande, Gleichgewicht zu wahren. Wenn man ihnen

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