Exponentialdrift - Exponentialdrift
›Nemezirs Berechnung‹, ohne erklären zu können, was das sein sollte. Wenn wir nicht gerade davon ausgehen wollen, daß sie tatsächlich Außerirdische in den Körpern von Menschen sind, bleibt als einzige Erklärung, daß hier ein mächtiges Mem am Werk ist, das es auf irgendeine Weise schafft, sich über enorme zeitliche und räumliche Distanz fortzupflanzen. Und das extrem wirkungsvoll ist – es löscht die vorherige Persönlichkeit des Betroffenen ja förmlich aus.«
»Zugegeben, interessant, aber ...«
Der Professor unterbrach ihn mit einer entschiedenen Handbewegung. »Ziehen Sie die Analogie zumComputervirus! Die Mechanismen eines derart mächtigen Mems wären die perfekte Waffe. Was sind Flugzeugträger, Millionenheere und selbst Nuklearwaffen gegen den direkten Einfluß auf die Hirne der Menschen? Man könnte Soldaten dazu bringen, ihre Gewehre niederzulegen, und ihre Oberbefehlshaber davon abhalten, die entscheidenden Knöpfe zu drücken ... Von den Dimensionen wirtschaftlicher Interessen will ich erst gar nicht reden. Wer dieses Mem enträtselt, hat den Schlüssel zur Weltherrschaft in Händen.«
Röber sah seinen alten Doktorvater unbehaglich an. Diese Wendung des Gesprächs war ihm unheimlich. Er fühlte sich an Star Wars erinnert, an jenen Moment, als Darth Vader seinen Sohn Luke Skywalker dazu bringen will, sich auf seine Seite zu schlagen, die dunkle Seite der Macht, und ihm zuruft: »Gemeinsam können wir die Galaxis beherrschen, Luke!«
»Tja, klingt interessant ...«, sagte Röber matt. Der Mann war offensichtlich durchgeknallt. Am besten machte er, daß er hier raus und weg kam. Und nie wieder im Leben würde er sich um Dinge kümmern, die ihn nichts angingen.
Eine Idee. Ein Ablenkungsmanöver. »Warum nur alle elf Jahre? Haben Sie mal überlegt, was das zu bedeuten hat?«
»Die Sonne«, sagte sein Gegenüber. »Ich glaube, es hängt mit der Sonne zusammen. Ein elektromagnetisches Phänomen vielleicht. Ein Bekannter von mir, ein Wissenschaftsjournalist – der übrigens gleich auf einen Sprung vorbeikommt; er möchte Sie kennenlernen –, hat mich darauf gebracht. Der einzige natürliche Zyklus, der genau elf Jahre dauert, ist der Sonnenzyklus. Jeder ›Außerirdische‹ ist ungefähr neun Monate nach dem Maximum der Sonnenfleckenaktivität aufgewacht. Die hatte ihren letzten Höhepunkt Ende 2000, also war ab August 2001 wieder damit zu rechnen.«
Röber vergegenwärtigte sich den Kalender. Nicht ohneGänsehaut fiel ihm auf, daß seit Abels Erwachen ebenfalls wieder neun Monate vergangen waren.
In diesem Moment ging die Tür auf. Obwohl der Besucher seine grüne Jacke heute nicht trug, erkannte ihn Jürgen Röber sofort: Es war der Mann, der ihm im Treppenhaus begegnet war. Der Mann, mit dem Vera Feldheimer in der Bar gesprochen hatte – und der sie wahrscheinlich getötet hatte.
»Sie!« entfuhr es ihm.
Der Fremde lächelte ein furchterregend leeres Lächeln. »Wie es aussieht, komme ich genau richtig«, sagte er.
Fortsetzung folgt ...
1. Juli 2002
Durch Fehler der Schweizer Flugsicherung prallen nordwestlich des Bodensees, in der Nähe von Überlingen, eine Frachtmaschine des Paketdienstes DHL und eine russische Passagiermaschine in 11 Kilometern Höhe zusammen. Alle Insassen beider Maschinen, darunter 45 Kinder, die für ihre guten Schulnoten mit einem Flug nach Spanien belohnt werden sollten, finden den Tod.
FOLGE 41
N EMEZIR WAR ...« BORSA stockte, schüttelte den Kopf. »Ach, die menschliche Sprache dafür benutzen zu müssen! Die widerspenstigen Begriffe der Menschen! Ein Wissenschaftler war er, so könnte man sagen. Er erforschte die Menschen und ihre Veranlagung. Und er stellte die Berechnung auf, die seither seinen Namen trägt.« Er legte einen Taschenrechner auf den Tisch. »Rechnen Sie nach. Die Menschheit vermehrt sich gegenwärtig mit etwa 1,6% je Erdjahr, was einer Verdoppelung ihrer Zahl alle 45 Erdjahre entspricht. Das heißt, wenn alle Schranken fielen – wenn es nur eines Schrittes bedürfte, um auf einen anderen Planeten zu gelangen –, wäre dieser rechnerisch nach 45 Erdjahren genauso dicht besiedelt wie die Erde heute. Nach 90 Jahren wären bereits vier Planeten gefüllt. Und immer so weiter, eine exponentielle Entwicklung, unaufhaltsam wie die Bewegung der Kontinente. Deshalb sprechen wir von Exponentialdrift.«
Bernhard Abel, der von sich nur noch als Koairin dachte, schüttelte nach kurzem Überlegen den Kopf. »Aber es braucht mehr als einen
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