Exponentialdrift - Exponentialdrift
kein Wort dafür kennt.
Der Chauffeur erwischte endlich eine Lücke im rabiat fließenden Verkehr und manövrierte um die Baustelle herum, auf der, wie meistens, niemand arbeitete. Er sah hoch, in den Rückspiegel, weil er aus dem Augenwinkel eine Handbewegung des Referatsleiters gesehen zu haben glaubte.
»Sie wünschten etwas, Herr Duns?«
Der schmächtige Mann mit der randlosen Brille winkte ab. »Nein, schon gut. Alles in Ordnung.«
Am Straßenrand stand eine Gestalt in einem dunklenMantel, die ein Schild trug mit der Aufschrift: Das Ende ist nahe .
»Ich meine, weil Sie eben –«
»Hat sich erledigt. Danke.«
– ENDE –
The Making Of
»Exponentialdrift«
1
Hinweis:
E S GIBT LEUTE, die lesen erst die Anhänge und Anmerkungen zu einem Buch, ehe sie sich an den eigentlichen Text machen. Ich weiß das, weil ich selbst so jemand bin. Und weil ich das weiß, will ich zumindest versuchen, Sie dazu zu bewegen, den Romanteil dieses Buches zuerst zu lesen. Denn das, was nun folgt, ist ein Blick in die Werkstatt, hinter die Kulissen des literarischen Experiments, das der Fortsetzungsroman »Exponentialdrift« war. Sie werden dabei einige der Strippen, Fäden und Falltüren sehen, die in die Kulissen eingebaut waren, und dadurch verlieren diese unweigerlich an Glanz. Sie werden sehen, wo etwas hohl oder nur aus Pappmaché ist und daß der Marmor an den Wänden nur kunstvoll aufgetragene Farbe war. Doch wenn Sie wissen, daß das Kaninchen im doppelten Boden des Zylinderhutes sitzt, dann wissen Sie zwar später, wenn der Zauberer es herausholt, wie er es gemacht hat – aber den Zauber dieser Darbietung, den werden Sie nicht mehr spüren können.
Deshalb meine Empfehlung: Falls Sie den Roman damals in der FAZ nicht verfolgt haben, lesen Sie ihn zuerst.
Natürlich können Sie diesen Rat in den Wind schlagen. Es ist Ihr Buch, Sie haben es gekauft und bezahlt: Machen Sie damit, was Sie wollen.
Bedenken Sie nur, daß Sie sich möglicherweise um die Erfahrung bringen, einen Roman zunächst einfach so zu lesen,um erst danach zu erfahren, welche Ereignisse und welche Gedanken – und welche Zufälle – mit seiner Entstehung verbunden waren, und ihn mit diesem Wissen noch einmal durchgehen zu können.
Ich finde, es wäre, als würden Sie sich das Video von The Sixth Sense ausleihen und, ehe Sie sich den Film von vorne bis hinten angucken, als erstes zum Ende vorspulen, von dem Sie schon so viel gehört haben.
Wenn Sie verstehen, was ich meine.
2
Wie es dazu kam
I N EINEM DER E-Mails, die mich am 16. August 2001 erreichten, schrieb mir ein gewisser Frank Schirrmacher, daß er in seinem Urlaub das »Jesus Video« gelesen habe und »sehr beeindruckt« sei. Er fügte hinzu, daß er Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sei und mich gern kennenlernen würde. Er wolle zur Buchmesse ein Porträt über mich schreiben. Und die Tatsache, daß die FAZ mich bislang übersehen habe, sei ihm schon peinlich.
»Holla«, dachte ich.
Man wäre ja kein Mensch, wenn man so etwas nicht gerne lesen würde.
Peinlicherweise beruhte die Ignoranz aber auf Gegenseitigkeit, denn umgekehrt hatte auch ich bis zu diesem Moment nichts mit dem Namen Frank Schirrmacher anzufangen gewußt. So interessant das E-Mail klang, in E-Mails kann man viel behaupten – und viele Leute behaupten in E-Mails auch viel. Deshalb forschte ich lieber erst einmal im Internet nach, ob es bei der FAZ überhaupt einen Herausgeber dieses Namens gab.
Es gab. Immerhin. Also formulierte ich eine behutsame Antwort ungefähr des Inhalts, daß mich das Interesse freue und man über ein Treffen reden könne.
Wenige Tage später rief eine äußerst echt klingende Sekretärin an. »Wegen Ihres Besuchs bei Herrn Schirrmacher«, sagte sie, und nach einigem Terminkalenderblättern verständigten wir uns auf den 28. Oktober als den Tag, an dem ich nach Frankfurt kommen sollte.
Es verblüfft mich immer wieder aufs neue, wenn etwas, das mit einer Anzahl kleiner Buchstaben auf einem Computerbildschirm beginnt, sich in handfeste Wirklichkeit verwandelt. Ich fuhr an besagtem Tag nach Frankfurt, spazierte in das beeindruckende Gebäude mit dem großen blauen Schriftzug Frankfurter Allgemeine Zeitung auf dem Dach, nannte am Empfang meinen Namen, und siehe da, ich wurde erwartet. Ein gläserner Aufzug brachte mich in höhere Gefilde, eine freundliche Sekretärin geleitete mich in ein Büro, und da war er, Doktor Frank Schirrmacher, sah genauso aus wie auf den Fotos im
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