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Export A

Export A

Titel: Export A Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kränzler
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: VANCOUVER …. 4:30P
DATE DEP : CM759 06JUN VANCOUVER …. 4:50P
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    Fünfter Juni. Nur noch bis zum Fünften, dann werde ich fliegen und fliehen!

48.
    Wo mag Tyler jetzt stecken?
    Gestern, am späten Vormittag, ist er Richtung Alberta aufgebrochen. Wenn er die Nacht durchgefahren ist, sollte er bereits in Edmonton sein.
    Ich glaube nicht, dass er dort lange bleiben wird.
    Plötzlich muss ich an all die Gesichter denken, die ich nie mehr wiedersehen werde. Mir fällt meine Kleinbildkamera ein:
    24 Fotos, aufgenommen innerhalb der ersten vier Tage. Seitdem hat sie ihre Blende nicht mehr geöffnet.
    Die Fir Street, die Centennial, Kat und Matt, Josh, Bernie und die Jungs, Mona und Humphrey – ich habe nichts dokumentiert. Sie werden allesamt verblassen, in Gedächtnislücken stürzen, unauffindbar werden und schließlich verschwinden.
    Totale Amnesie bei Tag, Rückkehr zur Realität bei Nacht – wird es so sein?
    Wie lange werde ich brauchen, um die Realität in die Träume und die Träume in die Nichtigkeit zu drängen?
    Wie lange wird mich die nächtliche Rückschau terrorisieren, und wann werde ich mir sagen können, »es war nur ein Traum«?
    Wenn Träume, Tat und Schuld verblassen, keimt dann die neue ­Reinheit?
    Vielleicht verwächst sich die Angst.
    Ich will nicht darauf hoffen.
    Nein, ich werde auf nichts mehr hoffen.
    Grünen Lichtschlangen und unerfüllbaren Wünschen werde ich fortan aus dem Weg gehen.
    Ich werde das Chaos anerkennen und versuchen, lebendig zu bleiben.
    Die Sehnsucht wird am größten sein.

49.
    Bild No.8 (8/24) Format 10 × 15 cm
09/2000
    Die Aufnahme ist leicht verschwommen.
    Sechs von zehn Zentimetern Landschaft sind wolkig weiß. Blaue Berge markieren den Horizont, greifen nach dem Himmel und tönen seine Ränder feucht. Weiß saugt Blau wie Löschpapier.
    Die Wipfel borealer Nadelwälder bilden den Zickzack-Saum der Berge.
    Zu Füßen des Fotografen erstreckt sich ein kiesgraues Feld, das von einem hauchdünnen Asphaltstreifen begrenzt wird. Jenseits des Streifens drücken Flachdachhäuser ihre Rücken gegen den Wald.
    In der Bildmitte thront ein großes, fuchsbraunes Schild. Ein Steinkreis aus gelblich-gräulichen Findlingen, zwischen denen je drei kleine Fichten und Birken wachsen, umrahmt die hölzerne, fast quadratische Tafel. Cyanblaue, gut 1,50 m hohe Buchstaben füllen das Holz, um den Namen »YUKON « herauszuschreien.
    Es scheint, als versammle das von zwei Stelzen getragene Schild Bäume und Steine wie Schachfiguren um sich. Birken werden zu Läufern, Fichten verwandeln sich in Pferde. Die Bauernfindlinge marschieren an vorderster Front.
    Ich sehe mich mit weit ausgebreiteten Armen unterhalb des blauen Ns.
    Mein Kopf bildet den Schnittpunkt der diagonal und senkrecht verlaufenden Buchstabenelemente. Der dunkel umrandete, helle Fleck, mit den bräunlichen Schatten ist mein Gesicht. Ein winziges Leuchten lässt darauf schließen, dass ich lächle.
    Wind und Arme spannen die offene, schwarze Jacke zu beiden Seiten meines Körpers auf wie Fledermausflügel. Mit meinen Jackenschwingen verdecke ich das letzte Wort der Aufschrift:
    »Welcome to Canada’s YUKON the magic and the mystery.«

04.06.2001
    11:30 PM
    In weniger als 15 Stunden werde ich im Flugzeug sitzen. Wie zwei Hunde liegen Koffer und Rucksack auf dem Teppich vor dem Bett und fiebern dem Morgen entgegen. Bestimmt würden sie aufgeregt mit Griffen und Trageriemen wedeln, wenn sie nur könnten.
    Ein letztes Mal ziehe ich den Handspiegel aus der Nachttischschublade und lasse mich von zwei dunklen Augen anstarren.
    Ich beobachte, wie sich meine Pupillen weiten und sich gegen den Rand der bernsteinfarbenen Iris schieben. Aus feuchten Augenwinkeln schlüpfen feine, rote Äderchen; kleine Risse im porzellanweißen Glaskörper.
    Am Oberlid schwingen sich die Wimpern zu den Augenbrauen empor. Wenn ich den Kopf auf die Brust lege und dabei nach oben schaue, berühren sie die Brauenbogen.
    Dünn und bläulich schimmert die Haut über den Augenhöhlen. Ich kann die Form meines Schädels erahnen.
    Auf der Nase sind die Poren etwas gröber, als wollten sie beim Atmen helfen. Auf Wangen, Kinn und Stirn dagegen verfeinern sie sich bis zur Unkenntlichkeit.
    Der Leberfleck am Kiefergelenk, die kleine Gedankenstrich-Narbe am Kinn – alles scheint am Platz,

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