Extraleben - Trilogie
replaces anything.«
In der Computerwelt ersetzt ein neues Gerät niemals komplett das alte; in irgendwelchen Winkeln laufen die altvorderen Maschinen treu weiter, so lange, bis es keine Ersatzteile mehr gibt oder die Menschen gestorben sind, die sie bedienen können. Nick nennt das die »Rom-Theorie«: Alles Neue steht immer auf den Ruinen von was Altem, wie in Rom eben. Und wenn sich der Neubau nicht lohnt, werden halt die Trümmer saniert. Wow, Bomber, Banken und Space Shuttles, die in letzter Sekunde vom Indiana Jones des Infozeitalters gerettet werden - was für ein cooler Job! Theoretisch. Und was Nick angeht, stimmt das sogar ein bisschen. Ihn haben sie zum Beispiel echt im Privatjet zum B-52-Trainingszentrum gekarrt, um da die Simulatoren zu sichten. Diese Luxusbehandlung gab es für mich nur einmal, und zwar bei unserem ersten Einsatz in Russland. Dabei war die ganze Hektik völlig überflüssig: Letztendlich mussten wir nichts tun, als neben den Profis aus Amiland zu stehen und ihnen das Handbuch eines alten DDR-Rechners ins Englische zu übersetzen. Danach hat wohl jemand bei der Datacorp seinen Bleistift gespitzt und ausgerechnet, dass es etwas unwirtschaftlich ist, einen nutzlosen deutschen Slacker mit IT-Halbwissen im Privatjet um die halbe Welt zu kutschieren. Seitdem haben sie mich zum Data Retrieval Specialist runtergestuft, so steht es zumindest auf meiner Visitenkarte. Mutter habe ich erklärt, dass das »so eine Art von Computerarchäologe« sei, was sie natürlich nicht verstanden hat. Ganz anders Nick, der ist richtig auf dem Karriere-Trip. Er darf sich laut seiner Karte als Legacy Systems Consultant bezeichnen und in seiner Funktion als »Ell-Ess-Ciiieeeh«, wie er es abkürzt, auf Big Business machen: mit Andie in der Hon-Lounge am Flughafen abhängen, kostenlos Milchkaffee schlürfen und mit den Datacorp-Bossen konferieren. Hat sie zumindest mal erwähnt, wenn auch nur im Nebensatz, denn Andie hat Taktgefühl Mein Job ist also das Data Retrieval. Klingt toll, bedeutet aber nichts anderes, als aus alten Rechnern die Daten rauszufrickeln - sie von Festplatte, Diskette oder vom Bandlaufwerk runterzuziehen und in ein modernes System rüberzukopieren. Auftrag Datenmigration, wie es in der Anweisung von oben immer heißt. Dabei könnte das kein schlechter Job sein, sogar ziemlich interessant, zum Beispiel wenn man einen Altair 8800, Apple Lisa oder NeXT Cube unters Messer kriegt - Rechner, die Geschichte geschrieben haben. Doch bei mir landen nur Rechner, auf denen Geschichtchen geschrieben wurden. Jedes Mal, wenn der DHL-Mann wieder einen mittelgroßen Karton rüberreicht, ist völlig klar, was drinsteckt. ein stinkender Tandy Radio Shack 80, Modell 100. Oder, um in den Worten von Major Tom zu sprechen: »Kee, du bis mein Tandy-Dandy!«
Obwohl die Kiste grottenhässlich ist, war sie ein totaler Hit: Seit Anfang der Achtziger wurde das Teiltausendfach verkauft, und bis heute gibt es noch irgendwelche Irren, die dem TRS-80 die Stange halten und auf der Kiste ihre Kochrezepte tippen oder so. Ehrliche Menschen nennen ihn Trash-80, eben weil er aussieht wie ein Haufen Müll aus den Achtzigern, und da ist was dran: Der Rechner ist von einer billigen beigen Plastikhaut überzogen, die selbst neu aussieht, als wäre sie schon Jahre alt. Er ist genauso groß wie ein Telefonbuch und lässt sich weder auf-noch umklappen oder sonst wie größer machen. Oben steckt ein Schwarz-Weiß-Display drin, auf das acht Zeilen mit jeweils vierzig Buchstaben passen und das man - dank einem Kontrastverhältnis von ungefähr 1: 2 - nur bei grellstem Sonnenschein erkennen kann. Immerhin taugt die Tastatur was: Ihre schweren braunen Tasten klappern beim Tippen schön laut, ganz anders als die modernen Keyboards mit ihrem diskreten Klicken. Damit man mit dem Tandy auch was anfangen kann, haben ihm seine Erbauer ein erträgliches Textverarbeitungsprogramm spendiert; ein gewisser Bill Gates hat das übrigens noch persönlich geschrieben. Ein wirklich cooles Feature hat die Kiste allerdings, das muss man zugeben: das Batteriefach auf der Rückseite, wie bei einem billigen Hongkong-Spielzeug. Da kann man vier Walkman-Batterien reinstecken, und dann läuft die Kiste auch ohne Kabel. Apropos: Sagt heute jemand noch Walkman-Batterien? Und wenn nicht, wie heißen die dann? Jedenfalls kann man mit einem Satz Batterien fast einen ganzen Tag und eine ganze Nacht durcharbeiten. Eine Ausdauer, die selbst moderne Kisten nicht bringen.
Weitere Kostenlose Bücher