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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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belegter Stimme, während er mit dem Daumen durch das Kongressprogramm blättert.
    »Hm.«
    »Sollen wir bleiben?«, frage ich und hoffe dabei insgeheim, dass Nick »Nein« sagt. Aber als braver Angestellter kommt das für ihn natürlich nicht infrage. Und er hat Recht. Jetzt den Rückzug anzutreten, gehört sich für Profis wie uns nicht. Höchstens eine kleine Pause ist drin. Vielleicht gehen wir kurz raus und setzen uns in das Café zwischen die lachenden Studenten. Oder wir lassen uns eine halbe Stunde durch die Ausstellung treiben. Hast du den Macintosh SE mit dem durchsichtigen Gehäuse gesehen? Cool, oder? Davon gibt's ja weltweit gerade mal zehn Stück; Apple hat nur den Typen aus dem Entwicklerteam einen gegeben. War das '87? Unbezahlbar, auf jeden Fall, Weltkulturerbe - mindestens. Bla,bla, bla. Dann kommt wieder ein Vortrag und noch einer und noch einer, und wenn wir heute Abend aus diesem Bunker endlich raus dürfen, haben wir Irving längst vergessen. Nick steht als Erster auf. Und die Verdrängung funktioniert wirklich: Als wir die Tür von Saal C3 öffnen und den menschenleeren Gang dahinter entlang schlendern, lässt das Gewicht auf der Schulter schon nach. Weit und breit kein Krankenwagen zu sehen. 10:43 Uhr steht auf der Digitaluhr über der Garderobe, die noch solche alten Umklappzahlen hat. In ein paar Wochen werden die letzten 43 Minuten von einer schönen Erinnerung an gläserne Macs überschrieben worden sein. Komisch. Es wäre doch schön gewesen, lrvings Vortrag zu hören. Was er wohl sagen wollte?

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    Ich wusste es. Wir hätten uns auch so ein Tretboot mieten sollen. Wir hätten die Konferenz einfach Konferenz sein lassen und stattdessen schön in der Sonne brutzeln und Weizen trinken sollen. Genau so hätte das ablaufen müssen. War doch völlig klar, dass der erste schöne Tag auch gleich wieder der letzte sein würde. Deutschland halt. Schon als wir abends zur Bahn marschierten, hing so ein feuchter Schleier in der Luft; später, als wir dann am Gruppentisch im ICE vor uns hindösten, kullerten die ersten Tropfen das Fenster entlang. So richtig schön ist es seitdem nicht mehr geworden. Es blieb grau, und das viele Wochen lang, bis der meteorologische Sommer anfing, der gefühlt immer dann beginnt, wenn der echte Sommer schon fast vorbei ist.
    »Ja, meine Herren, das ist ein Symbol für die Vanitas - eine Erinnerung an die Vergänglichkeit des Menschen. Könnense ruhig aufschreiben«, hätte unser Deutschlehrer wohl dazu gesagt. Und natürlich hinterher geschoben: »Ist alles klausurrelevant.«
    Sowas bleibt im Gedächtnis, während der wirklich lebenswichtige Kram verschwindet. Warum rostet eigentlich Eisen - aber Stahl nicht? Schschscht. Das rechte Vorderrad ist in eine tiefe Spurrinne abgetaucht. Wasser prasselt gegen den Radkasten, als ob man einen Duschkopf gegen einen Karton hält. Der Wagen bricht aus und driftet auf die rechte Spur. Auf einmal kommt der Lkw rechts so nah ran, dass das Prüfsiegel auf dem Feuerlöscher hinter der Kabine zu erkennen ist. Schnell das Lenkrad rumreißen, noch ein bisschen, noch ein bisschen. Gut. Uiiiep-uiiiep, das Geräusch der Reifen, die eine Spurmarkierung überfahren, klingt wie eine gescratchte Kinderchor-Platte. Das war knapp. Mensch, wach bleiben. Endlich kommt die Ausfahrt. Zum ersten Mal seit Stunden kann der Motor auf entspannte 2500 Touren runtergehen. Früher, als Kind, war das genau der Moment, in dem man wach geworden ist - auf der Rückfahrt von Korsika. Dann hat Vater die Tür aufgemacht, und das letzte bisschen französischer Autoroute-Wärme löste sich in kalter deutscher Nachtluft auf. Nach Hause kommen, das war trotz allem immer schön. Wird es echt schon dunkel? Oder regnet es nur mehr? Wieder einer dieser Tage, an denen es nicht richtig hell wird, an denen 256 Graustufen nicht ausreichen würden, um Deutschland zu malen. Die Autobahn endet, und als ob jemand einen Schalter umgelegt hat, verschwinden mit ihr die hektischen Spurwechsler und ausgelaugten Außendienstler, die nur noch nach Hause wollen. Was bleibt, ist eine leere Landstraße, die sich durch grüne Felder schlängelt und hinten im Nieselregen verschwindet. Freie Fahrt, keine Spur von Feierabend-Verkehr mehr. Wo diese Straße hinführt, da ist ohnehin immer Feierabend. Willkommen im Land der Münzspieler, willkommen im Merkur-Sektor. Aus dem Nieselregen taucht das erste Dort auf. Alles ist so menschenleer, als ob in zwei Minuten ein Atomtest stattfindet, wie in

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