Extraleben - Trilogie
Reisekostenabrechnung. Wobei er selbst hier den Musterschüler mimt und - anders als der Rest der Menschheit - seinen Arbeitgeber nicht bescheißt. Was ja nicht schlecht ist. Nein, nein, seine Ehrlichkeit ist toll. Und das wäre ja auch alles noch zu ertragen, wenn er seit Neuestern nicht so schlimm reden würde. Wie nach einer Gehirnwäsche.
»Da ist echt der Tipping Point erreicht.«
Nur so als Beispiel. Oder dies und jenes sei nicht unsere »Kernkompetenz«, in diesem Punkt sei die Datacorp anders »aufgestellt«.
Grauenhaft, totales Business-Gekasper. Die Zeiten, in denen ich noch sein »Alter« war, sind natürlich auch vorbei. Wenn er mich überhaupt mit Namen anspricht, dann mit Kee, meinem bescheuerten Bildschirm-Pseudonym aus Commodore-Zeiten. Am krassesten zieht er sein Business-Theater durch, sobald Kollegen aus der Firma in der Nähe sind. Dann spricht er original so wie damals in der Schule, wenn der Klassenlehrer danebenstand. Statt »Haste da Bock drauf« heißt es plötzlich »Könntest du dir vorstellen, das zu übernehmen«.
Völlig lächerlich, zumal in der Firma außer John ohnehin niemand Deutsch spricht. Er könnte auch sagen »Bück dich, du Stück!«, ohne dass sich auch nur jemand umdrehen würde. Im Gegenteil, die Amis würden sich höchstens darüber amüsieren, dass wir mit den vielen scharfen »k« wie Nazis in einem Hollywood-Film klingen. Seine absolute Lieblingsfloskel ist »am Ende des Tages«.
Die benutzt er zu jeder Gelegenheit. Bei ihm kommt das erste »Ende des Tages« oft schon am Anfang des Tages, so gegen 9:01 Uhr, wenn er sein »Home Office« betritt, das man gut und gerne auch als Kellerkabuff bezeichnen könnte. Es lässt sich nicht beschönigen: Nick spricht wie einer dieser armen Menschen, die in einem dunklen Konferenzraum in der Nähe eines Flughafens sitzen. Immerhin rückt das Ende dieses Tages näher. Meine Augen brennen von der heißen Luft, die seit fünf Stunden gegen die Windschutzscheibe föhnt - und von der Hässlichkeit dahinter. Hochhausblocks, Ampeln, Regen. Für einen kurzen Moment blitzt das 21. Jahrhundert auf - ein Internet - Call-Shop, daneben ein Ladenfenster, auf dem mit Vinylbuchstaben PCDoktor steht. Zip, schon vorbei, das nächste Haus ist sogar schwarz gefliest. Am Horizont türmen sich Fabrikschlote auf, die schon vor einem halben Jahrhundert aufgehört haben zu rauchen.
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Im Grunde genommen sind wir auch nur eine bessere Art von PCDoktor. Wo immer sich ein Rechner unpässlich fühlt, rücken wir aus. Nein, besser, wir sind Fachärzte für PC-Gerontologie, schließlich muss die Datacorp immer dann ran, wenn die Alten und Lahmen Ärger machen. Von denen gibt es auf der Welt gottlob genug, wir brauchen uns keine Sorgen um unseren Job zu machen. Der Schrott wird sogar ständig mehr. Auf jeden neuen Rechner kommt ein alter, der weiterschuften muss. Never change a running system. Bei wirklich wichtigen Sachen vertrauen die Leute eben doch lieber Computern, die nicht alle zwei Tage ein Servicepack brauchen und trotzdem nicht abrauchen. Der Digitalschrott ist überall. Letztens zum Beispiel hat die US-Luftwaffe neue Simulatoren für ihre Bomberpiloten beschafft, da musste alles ganz schnell gehen. Warum? Weil die alten Programme auf einem PDP-11 liefen - ein Rechner so groß wie ein Schrank aus der Zeit, als Hans Rosenthal noch die Mattscheibe regierte. Oder das Space Shuttle: In der Kiste arbeitet ein Uralt-Chip mit 4,77Megahertz, der bei eBay nicht viel mehr kostet als das Porto, weshalb ihn die Nasa auch genau da einkauft, wenn sie Ersatz braucht. Und als Arnie Schwarzenegger seinen Angestellten in Kalifornien letztens einen Mindestlohn spendieren wollte, musste er sie erstmal mit einem »I'll be back« vertrösten: Das Programm für die Lohnbuchhaltung war noch in Cobol programmiert, und in der ganzen Verwaltung gab es niemanden, der den Code verstand oder ihn hätte verändern können. Gerade der Deutsche liebt den antiken Rechner. In all diesen kleinen Familienfirmen im Sauerland, Westerwald oder weiß Gott wo stehen noch reihenweise Relikte herum. Es gibt halt nicht nur altdeutschen Apfelkuchen, sondern auch altdeutsche EDV. Letztens musste Nick ausrücken, zu einer Fabrik irgendwo im nirgendwo, die Nylonfäden herstellt. Warum? Ein Gerät, das die Fadendicke überprüfen sollte, lief nicht mehr. Es wurde von einem Commodore 64 gesteuert. David Pogue von der Times hat es mal gut auf den Punkt gebracht: »In Technoland nothing ever
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