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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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dass John immer für eine Überraschung gut ist, gerade was die Immobilien angeht. Die Datacorp hat nämlich nach dem Ende des Kalten Krieges weltweit Liegenschaften der U.S. Army aufgekauft und umgebaut. Da werden dann Daten, Speichermedien und alte Maschinen eingemottet, für den Fall, dass es nicht reicht, die alten Systeme auf neuen zu simulieren. Um Lochkarten auszulesen, brauchst du halt einen Lochkartenleser, da hilft auch die beste Emulation nicht. Eine Zeit lang ging sogar das Gerücht in der Firma rum, Major Tom würde in einem alten Fernsehturm residieren, was natürlich für einen Astronauten mehr als angemessen wäre, sich aber dann als Bullshit erwiesen hat. Wo er wirklich wohnt, weiß niemand. Aber sicher nicht hier, oder? 2,5 Kilometer Entfernung bis zum Ziel, steht am rechten oberen Rand des Navi-Displays. Das kann nicht stimmen. Kaum etwas passt hier weniger hin als eine Niederlassung des globalen Konzerns Datacorp. Der Wagen pflügt sich durch tiefe Wasserrinnen, die Millionen von Lkw in Laufe der Jahrzehnte in die Straße gedrückt haben. Links und rechts ziehen Lagerhallen vorbei, Verladerampen und Logistikkathedralen. Vor Manu's Grill, dessen Apostroph im Namensschild mindestens so fett ist wie die Fritten drinnen, herrscht gähnende Leere; alle Lkw-Parkplätze sind noch frei. Ein selbst gemaltes Schild im Fenster bewirbt einen »Kraftfahrer-Teller« für 3,50 Euro. Weiter weg vom Silicon Valley kann man auf diesem Planeten eigentlich nicht sein. Und trotzdem zeigt das Navi nur noch einen Kilometer an. Der Puls am Hals drückt gegen den Sicherheitsgurt. Noch 500 Meter, 300, 150, 50. Endlich, eine freie Fläche mit Kopfsteinpflaster. Vor den Scheinwerfern rasen Regentropfen vorbei, dahinter ist nichts zu erkennen. Ich stelle den Motor ab. Jetzt nur noch in den beigen Staubmantel zwängen, ohne dabei vom Fahrersitz aufzustehen. Minutenlanges Gewürge. Gottseidank ist niemand in der Nähe, der mein Gespaste mitansehen muss. Die Luft draußen fühlt sich an, als würde man in einen Keller runtersteigen. Klamm und modrig. Die Warnblinkanlage blitzt zweimal auf, bestätigt, dass der Wagen verriegelt ist. Nachdem das Licht im Fond verglüht ist, lässt sich zum ersten Mal das Ziel erkennen: ein dunkler Umriss, ein dreistöckiges Haus zwischen hohen Bäumen, deren Äste fast bis auf den Boden runterhängen. Hier wohnt er also, der große Boss. Und lädt mich in sein Reich ein, auf einen Tee bei Dr. Borsig, einen Scotch, Proteinshake oder was auch immer. Selbst für einen Sozialallergiker eine nette Aussicht. Unter den Sohlen knirscht es. Eine Villa mit Park und Kiesauffahrt, das hat Klasse. Ist aber gleichzeitig auch ein bisschen altbacken, zu John hätte eher so ein Bungalow gepasst wie der von Camerons Dad in »Ferris macht blau« - so ein Glaskasten im Wald. Oder der Fernsehturm halt. Eine nackte Glühbirne wackelt im Wind über dem Eingang. Vor dem eigentlichen Haus steht vorne ein kleinen Haus, mit Giebeldächlein aus rostbraunen Ziegeln obendrauf. Überraschend romantisch. Überhaupt passt der ganze Bau nullkommanull hierher, irgendwas stimmt mit dem Stil nicht. Die vielen kleine Erker und Anbauten sehen eher nach Pater Browns Pfarrhaus aus. Major Tom vom Hightech-Konzern Datacorp - ein Freund des britischen Landhausstils ? Ich klopfe mir an der ersten Treppenstufe die Kiesel von der Schuhsohle runter, dann nehme ich die restlichen zwei mit einem dynamischen Schwung - für den Fall, dass jemand durch den Spion schaut. Auf dem Klingelschild steht kein Name, natürlich. Es ist aus dunkelbraunem Bakelit und sieht nach Führerbunker aus. Irgendwie alles schmuddelig hier. Unter dem Handlauf der Treppe und überall da, wo kein Wind hinkommt, zieht sich der Grünspan den Putz runter. Ich drücke die Klingel. Drinnen plärrt ein Summer. Für seine Verhältnisse öffnet John die Tür schnell; er ist bekannt dafür, seine Mitarbeiter warten zu lassen.
    »Kee, come in.«
    Er versucht, zur Begrüßung ein freundliches Gesicht aufzusetzen, doch an dem Tempo, mit dem er sich umdreht, um in den nächsten Raum zu stürzen, merkt man, dass er nicht bei der Sache ist. Vielleicht wartet jemand am Telefon, oder - was für eine unvorstellbare Normalität - seine Frau! Schon beim ersten Zimmer wird klar: wieder Fehlanzeige. Auch das kann nicht Johns Zuhause sein. Zu geschmacklos, zu leer. Der Raum ist bis zur Decke mit dunkler Eiche verkleidet, an der Decke hängt ein wirklich widerlicher Oma-Kristallleuchter. John

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