Extraleben - Trilogie
richtig heftig drauf, kannten die Texte von den ganzen bösen Jungs auswendig. Und was könnte schon härter sein, als Reime vom »AK-47«, dem »Drive-By« oder »187«- dem Polizeicode für Mord - aus dem offenen Autofenster plärren zu lassen, während man über die Autobahn gondelt, um bei Muttern in der Vorstadt die Wäsche abzuliefern? Leanin'Lo the side but you can't speed through two miles an hour so everybody sees you Ha, viel schneller fuhr Nicks alter Opel Kadett ohnehin nicht. Wenn wir nicht gerade cruisten, hingen wir jedenfalls in diesem Park ab, egal, ob Semesterferien waren oder nicht. Die Nachmittage waren lang, Nicks Sonnenbrände schlimm und Frauen weit entfernt. Jeder dieser wunderbaren Tage endete mit dem gleichen Ritual: Wir tranken ein Gatorade, warfen »Summertime« rein und pfiffen auf unsere Street Credibility, weil ohnehin niemand in der Nähe war, der sie hätte würdigen könnte. Währenddessen gingen hinter dem archäologischen Institut die Sonne und unsere Jobchancen unter . ...and this is the Fresh Prince's new definition of Summer Madness. Viel zu schnell ist der erste Song vorbei und das erste Corona fast leer. Ich stelle die Flasche im Gras ab.
»Ahh!«
»Ah«, echot Nick. Nach einer kurzen Denkpause dreht er sich um.
»Sag mal. warum haben wir damals eigentlich immer Frisbee gespielt?«
Gute Frage.
»Weiß nicht. Vielleicht weil das bei den Jungs in den Musikvideos immer so unbeschwert aussah.«
Für Nicks Geschmack eine deutlich zu poetische Erklärung.
»... oder weil es vielleicht einfach Spaß machte«, knurrt er. Doch keiner von uns hat noch genug Energie für weitere Diskussionen, und so greifen wir synchron zu unseren Coronas und genießen den Abend. Als nächster Song kommt »LetMe Ride« von Dr. Dre, dann »On a Sunday Afternoon« von LSOB und zum Schluss, quasi für die Old School, »High Rollers« von Ice-T. Während wir darüber nachdenken, was aus dem Mädel auf dem Plattencover von Ice-T geworden ist, verblasst auch noch das letzte Orange am Himmel. Im Busch neben uns fängt eine Grille zu zirpen an - ziemlich schwächlich und mit vielen Pausen, aber der Sommer hat ja gerade erst angefangen. Und über allem liegt das friedliche Rauschen der nahen Autobahn. Da sitzen wir also in unseren Lehnstühlen, die letzte Mannschaft, auf dem letzten Außenposten. Gleich hinter dem Gartenzaun lauert die Zukunft. Wenn wir viel Glück haben, können wir sie noch für die Länge eines Songs aufhalten, bevor sie uns mit Petabyte-Rechnern, Chinesen und dem ersten Pflegefall in der Familie überrollt. Wir treiben in einer Nussschale durch die Dunkelheit zwei verdammt müde Wohlstands-Homies.
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»Ist dein Handy an?«
Nicks Stimme reißt mich hoch. Bin ich echt eingeschlafen?
»Nein, wieso? Das liegt noch im Auto.«
Nick hält mir den Rekorder direkt vors Gesicht.
»Meins auch nicht. Und jetzt hör mal!«, befiehlt er. Die Boxen schweigen.
»Was?«
»Jetzt wart doch mal! «
Tiefe Falten graben sich zwischen seine Augenbrauen. Da! Stimmt, da ist was im Lautsprecher. Das typische Signal eines Handys, das sich gerade bei einem nahen Funkmast meldet; der Verstärker des Ghettoblasters muss es aufgeschnappt haben. Krrrrrr, tick-t-tick, tick-t-tick, tick-t-tick. Sicherheitshalber taste ich die Taschen meiner Jeansjacke ab. Definitiv, das Handy liegt im Auto.
»Woher kommt das, wenn unsere Handys aus sind?«
»Das frage ich dich! «
Nick klingt jetzt richtig wütend. Ohne Vorwarnung fällt er auf die Knie und fängt an, mit dem Teelicht in der Hand den Boden abzuleuchten. Was brennt zuerst an - sein Zeigefinger oder der Busch, unter dem er herkriecht? Dazu murmelt er ständig »Wo ist es?«
Wirkt fast ein bisschen irre, der Gute. Vielleicht stresst ihn das ganze Erwachsenenspielen doch mehr, als er sich anmerken lässt. Ein Witzchen wird ihn entspannen.
»Wer weiß es? Die Klasse? Bueller? Bueller? Bueller? «
Nick reagiert nicht. Er ist mit seinem Teelicht unter einem Busch mit diesen dicken, wachsigen Blättern angekommen. Normalerweise würde er mich wenigstens irgendwie anpflaumen. Aber dieses eisige Schweigen ... Vielleicht ist es doch was Wichtiges? Ich beschließe, ihn ernst zu nehmen.
»Was suchst du denn?«
»Eine GPS-Wanze.«
Er steht kurz auf, um den Rücken durchzudrücken, dann taucht er wieder ab.
»Was?«,frage ich seine Klempnerspalte. Ohne sich umzudrehen doziert Nick ins Unterholz hinein: »So eine Art Handy mit besonders empfindlichem Mikrofon;
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