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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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er ist noch besser geworden in den letzten zwei Jahren. Die Welt um ihn herum hat er längst ausgeblendet. Keine Klage über das sperrangelweit offene Fenster des Taxis, durch das der Klang von Kuala Lumpur wie ein Presslufthammer hereindröhnt. Kein Kopfschütteln über das Mördertempo, mit dem der Inder den Wagen durch die Rush Hour hetzt. Kein Gemecker über den Hiphop, der so laut aufgerissen ist, dass die Boxen in der Hutablage klingen, als ob jemand Papier zerreißt. Dieses Sitar-Sample, ist das nicht Panjabi MC? Was für ein Klischee, so, als würde man am Münchner Hauptbahnhof ins Taxi steigen und der Fahrer hätte die Zillertaler Herzbuben eingelegt. Nachdem er die technischen Daten des Pixelformats innerhalb von zwei Minuten inhaliert hat, fischt Nick die digitale Kopie der Kassette aus dem Speicher des Dienstrechners und macht sich an die Arbeit. Wie er den Bitstrom wohl in Bilder umwandelt? Er sieht jedenfalls aus, als wüsste er, was er tut. Gezielt klickt er sich durch seinen digitalen Werkzeugkasten und doziert weiter vor sich hin.
    »Okay, unser Fehler war, dass wir auf der Kassette nach einem Programm gesucht haben. In Wirklichkeit ist der Bit-Salat, den wir bei achtfacher Bandgeschwindigkeit empfangen haben, ein digitales Fernsehsignal, und zwar eines, das brutalst zusammengeklappt wurde. Geht ja auch nicht anders: Ein normales Bild hat vertikal 576 Pixel. Das ist 'ne Menge Holz und passt nie und nimmer auf eine Audiokassette, nicht mal bei achtfachem Tempo. Also haben die Ingenieure bei Fisher Price ordentlich abgespeckt: Die Pixelvision-Cam zeichnet nur 120 mal 90 Pixel auf, schwarz-weiß. Statt zwei Megahertz ist so nur eine Trägerfrequenz von 100 Kilohertz nötig, die kriegt man auf eine beschleunigte Kasi gerade noch so drauf.«
    Bahnhof, Nickybaby, Bahnhof. Er schaut mitleidig zu mir rüber.
    »Mann, je schneller ein Magnetband läuft, desto höher ist die Bandbreite -logisch, oder?«
    Ein malayischer Polizeiwagen sprintet auf der Standspur vorbei; die Cops tragen verspiegelte Brillen und bewegen ihre Köpfe keinen Millimeter. Zoom, wir rasen unter den Betonpfeilern der Einschienenbahn durch. Direkt dahinter kassiert der Taxifahrer einen klapprigen, grünen Bus, der eine schwarze Dieselfahne hinter sich herzieht. Hinter der Betonbarrikade, die die Spuren der Stadtautobahn trennt, tauchen kurz die oberen Stockwerke unseres Hotels auf. Wenn der Fahrer weiter so heizt, sind wir in zehn Minuten da. Und was dann? Was, wenn die Typen mit dem schwarzen Geländewagen da schon warten? Nick jetzt darauf anzusprechen wäre Schwachsinn. Er ist im Flow, wie nach drei Stunden Commando zocken am Stück, er hat auf Autopilot geschaltet, sitzt im Tunnel. Ihn da jetzt rauszuholen, würde auch nichts bringen. Nein, je schneller wir rauskriegen, was auf dem Band drauf ist, desto besser; vielleicht wissen wir ja dann, warum die Typen hinter uns her sind. Wie besessen hackt der Beifahrer immer neue Werte in die Eingabefelder des Video-Analyseprogramms.
    »Bin fast da, bin fast da«, murmelt er, als ob er meine Gedanken lesen könnte. Keine Angst, niemand wird dich beim Zielanflug stören.
    »Jetzt noch den schwarzen Rand berücksichtigen ...« „Welchen Rand?«
    »Weil das Videobild selbst so klein ist, hat die Pixelvision einen schwarzen Kasten drum herum gerechnet, damit man sich das Ganze auf einem normalen Fernseher angucken kann. Also quasi Bild-im-Bild.«
    Weiteres Tastaturhacken. „Kleine Warnung schon mal: Bild und Ton werde ich nicht ganz synchron kriegen ...«
    Was bist du denn für ein German Engineer? Das macht dann nochmal zwanzig Stockschläge, Dude. Das Taxi donnert so heftig über ein Schlagloch, dass Nick fast der Rechner vom Schoß kippt. Es ist höchste Zeit, dass wir mal wieder in einem eigenen Auto sitzen. Wie der Beifahrer nur dieses Beifahrertum aushält? Ohne Lenkrad in der Hand ist doch überhaupt kein klarer Gedanke möglich. Sollte irgendwann mal der Individualverkehr total abgeschafft werden, sitze ich hoffentlich schon sabbernd im Altersheim. Das Taxi taucht in die Palmenhaine des Stadtwalds ein. Sofort weht es ein bisschen kühler rein. Man kann schon fast das Fenster unseres Zimmers an der Hotelfassade abzählen: einundzwanzig Stockwerke nach oben, dann ganz in die Mitte. Nick schwitzt wie ein Schwein. „Jetzt nur noch ... «, presst er zwischen den Zähnen raus, während er auf seiner Unterlippe rumkaut. Ich tippe den Fahrer an der Schulter an und zeige auf die Straßenecke vor

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