Extraleben - Trilogie
in der Interzone, das beruhigt die Nerven. Über den Fernseher, der diskret in die dunkel getäfelte Wand eingelassen ist, flimmern die Abendnachrichten von BBC World. Was das Hotel wohl dafür kriegt, dass der Kanal voreingestellt ist und automatisch beim Reinkommen angeht? Die Bettdecken sind so glatt gestrichen wie eine Eislaufbahn, das Personal hat die Schokoladenstückchen auf den Kopfkissen perfekt zentriert. Alles sauber, alles wieder unter Kontrolle, ein schönes Gefühl. Es muss was haben, wenn einen so was zuhause erwartet - und nicht der gärende Müll, den man vergessen hat, vor der Dienstreise rauszubringen. Nachdem wir einen vorsichtigen Blick in alle Zimmer geworfen haben, spulen wir wortlos das Verwaltungsprogramm ab, in absteigender Wichtigkeit. Zuerst alle Geräte wieder zum Aufladen an die Steckdose hängen, dann duschen und neue TShirts anziehen. Ich wasche im Bad die Wunde an der Hand aus; noch sieht der Schnitt okay aus, ohne roten Rand oder so. Die Interzone, das ist der natürliche Lebensraum des Ignoranten. Sie beginnt eigentlich schon hinter der Sicherheitskontrolle im Flughafen, zwischen Check-in und Abfluggate. Hier breitet sie sich aus, die Wüste aus den immer gleichen Luxusläden, aus mit Börsen-TV berieselten Wartehallen und Fress-Passagen, die weltweit normiertes Essen servieren - was gerade Nick mit seinem empfindlichen Magen sehr schätzt. Die Interzone macht es eben allen leicht. In ihr findet sich der Reisende auch nach achtundzwanzig Stunden Flug noch zurecht, dafür sorgt ein einfacher Farbencode: Grün heißt Café Latte, Rot-Weiß bedeutet Pizza, Rot-Gelb Burger, und überall kann man mit Rot-Orange bezahlen. Alles ist generisch, effizient und absolut seelenfrei. Nur ab und zu mogelt sich ein frecher Lokalanbieter in die Interzone: Auf amerikanischen Flughäfen sind es zum Beispiel diese Stände, an denen man seine Koffer - im Bootsflüchtling-Style - mit Plastikfolie umwickeln lassen kann, damit sie nicht während des Transports aus Versehen aufgehen. Aber selbst dieses Geschäft wird in dieser Sekunde wahrscheinlich gerade weltweit als Franchise-System ausgerollt. Wie die echten Wüsten dehnt sich auch die Interzone immer weiter aus. Das eine oder andere Einkaufszentrum in der deutschen Provinz hat sie schon annektiert, und natürlich sämtliche Ketten-Hotels. So wie unseres in KL. Dafür gibt es ein ganz klares Indiz: Sobald man die Vorhänge zuzieht, lässt sich nicht mehr feststellen, wo auf der Welt man sich eigentlich befindet. Es könnte die Seminarhölle am Frankfurter Westkreuz sein oder das Mars Hilton aus »Total Recall« - übrigens einer der letzten Streifen vor Arnies finaler Wupper-Überquerung. Dabei muss die ganze Retortenschlacht nicht unbedingt schlecht sein. Im Gegenteil: An Tagen wie diesen ist es eine Erlösung, in den sicheren Schoß der Interzone zurückkehren zu können. Nichts strengt nämlich mehr an, als ständig dem Authentischen und Echten hinterherzuhecheln. Mann, wann ist Nick endlich im Bad fertig? Ob er die Telefonhörer-Brezel wirklich übersehen hat? Unser Problem war, dass wir die ganze Zeit zu Standalone-mäßig gedacht haben, dass wir unvernetzte Männer in einer vernetzten Welt waren, Hank! Völlig engstirnig, am Ende der Welt eine nebulöse Diskette zu suchen, auf der alle Geheimnisse gespeichert sind. It was acceptable in the eighties aber doch nicht mehr heute! Wir sind echt Gefangene der Achtziger. Irving hat seine Daten nicht gespeichert, sondern hochgeladen. Er lacht sich oben auf seiner Wolke wahrscheinlich kaputt über die verrückten Deutschen, die sein Erbe verwalten sollen. Als wir noch vor dem Commodore 64 saßen und mit einem kleinen Knipser aus einseitigen zweiseitig bespielbare Floppys machten, bastelte er schon sein eigenes, weltweites Netz mit privater Serverhöhle. Die müssen wir jetzt nur noch finden, und dann geht's nach Hause. MacGyver zieht schon mal das Kabel aus der Telefondose und bewaffnet sich mit dem Messer, das neben der Schale mit dem Begrüßungsobst liegt - für den Fall, dass es was abzuisolieren gibt. Nick kommt aus dem Bad und pfeffert sein T-Shirt quer durchs Zimmer Richtung Papierkorb. Erst sieht es aus, als würde es am Rand hängen bleiben, dann taucht es mit einem leisen Flopp doch noch in den Korb ab. Er sagt »Yeah«, allerdings sieht seine Becker-Faust dazu ziemlich müde aus. Anscheinend rechnet er auch damit, dass unsere Dienstreise bald zu Ende geht - sonst würde er seine Shirts sicher
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