Extraleben - Trilogie
man sich Ruhe halt mit Angst erkaufen. Es war keine gute Nacht, vor allem für Nick. Er hat stundenlang geschnieft und sich hin-und hergeworfen; erst als durch die Mottenlöcher in den bordeauxroten Vorhängen das erste Licht des Morgens kroch, ist er ins Bad gewankt und hat sich ein paar Tylenol eingeworfen, so eine Art von Super-Aspirin, mit dem er sich noch am Flughafen eingedeckt hat. Im Schlafzimmer war nur das Klickern der Pillen im Zahnputzglas zu hören, aber da war gleich klar: Jetzt ist er echt krank. Bevor Nickybaby nämlich zur Pille greift, muss es ihm wirklich schlechtgehen. Daran ist seine Mutter Schuld: Die ist ein bisschen homöopathisch angehaucht und hat ihm als Kind immer erst dann Medikamente gegeben, wenn er vor lauter Fieber fantasierte. Natürlich hat er sich darüber lustig gemacht, aber irgendwas ist von der Einstellung dann doch hängen geblieben. Medikamente sind immer noch ein bisschen böse für ihn. Er setzt lieber auf die »Selbstheilungskräfte des Körpers«, wie er sagt. Und dieser Scheiß hat uns beide mal wieder eine halbe Nacht gekostet. Toll. Immerhin schläft er jetzt. Armer Beifahrer, so weit weg von zuhause und dann auch noch krank. Es wird echt langsam Zeit, die Mission zu Ende zu bringen. Ich schlüpfe in Jeans und Regenjacke und schleiche mich mit dem Dienstrechner raus. Türaufschließen entfällt, weil an allen drei Vorhängeschlössern, die eigentlich die Sperrholztür sichern sollen, die Kette fehlt - abgerissen. Es weht so kalt herein, als ob man den Kopf in ein Waschbecken voller Eiswürfel hält, so wie Huey Lewis in dem Video zu »I want a new drug«.
Nach dem ständigen Plastikklima in Malaysia die reinste Erlösung. Good Morning, America. Wie früh es wohl ist? Fünf vielleicht, oder halb sechs. Die Hauptstraße des kleinen namenlosen Kaffs ist leer gefegt. Normalerweise sitzen um die Zeit wenigstens schon ein paar Trucker auf ihrem Bock, doch von denen ist hier auf der Dorfstraße nichts zu sehen. Die prügeln ihre Monster wahrscheinlich den sechsspurigen Interstate-Highway runter, der ein paar Meilen an dem Kaff vorbeigeht. Tja, Herr Bürgermeister, Pech gehabt. Auf der anderen Straßenseite liegt die Dorfschule mit ihrem Football-Platz. Die Sprinkleranlage zischt schon auf Hochtouren, damit sich das Gras nochmal vollsaugen kann, bevor die Sonne wieder vierzehn Stunden lang gnadenlos runterballert. Mitten auf dem Spielfeld stehen ein paar armlose Männchen aus gepolstertem blauem Mattenstoff. Sie sehen genauso aus wie eine Reihe Spieler beim Tischfußball. Gegen diese Kameraden müssen die angehenden Quarterbacks wohl ihre Helme donnern, mindestens so lange, bis sie sich nichts sehnlicher wünschen, als einen eigenen Monstertruck zu fahren. Ich setze mich auf eine Zuschauerbank und klappe den Dienstrechner auf. Weit und breit kein Signal, bleibt nur unser eigenes DCSNet. Naja, vielleicht sieht John so wenigstens, wie superfrüh wir schon für ihn unterwegs sind. Unser Zielgebiet macht auf dem Sat-Foto keinen guten Eindruck. Selbst aus 100 Kilometern Höhe sieht es nach Ärger aus. Nur ein winzigkleines graues Quadrat ist zu erkennen, drum herum ein braunes Feld, zu dem eine schnurgerade Straße führt. Das könnte die Allee mit den Bäumen am Rand sein, die im Video zu sehen war. Rund um die kleine Siedlung selbst ist nichts zu erkennen, nicht mal richtige Felder, sondern nur blasse Quadrate, vom linken bis zum rechten Bildschirmrand, durch die sich ein paar Täler wie Venen am Unterarm schlängeln. Wasser kann da unten schon lange nicht mehr geflossen sein, sonst wären die Ränder grün. Mal die Straßennamen checken. Silo Road. Ein Silo, vielleicht so ein Kornspeicher, wie sie überall im Mittelwesten stehen und wo der Mais reinkommt, bis die Ernte komplett ist. Hier oben, fast an der kanadischen Grenze, gibt's zwar kaum welche von denen, aber es klingt plausibel. Landwirtschaft, wie enttäuschend, Vaters Höhle sah auf dem Video nach mehr aus. Auf jeden Fall kein guter Platz, um in Schwierigkeiten zu kommen. Ein Haus im Nirgendwo, zwanzig Meilen vom nächsten kleinen Ort entfernt.
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Eigentlich müssten wir uns jetzt solche schwarzen Balken unter die Augen malen, wie die Footballspieler, oder wie John Rambo im Hubschrauber vor dem Einsatz. Aus dem Off würde dazu natürlich einsames Getrommel kommen, damit auch der Letzte checkt: Es geht in den Kampf. Dumm, du-du-du-dumm, gleich wirst du, lieber Zuschauer, erfahren, warum bis hierhin so viele
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