Extraleben - Trilogie
erst neun in Deutschland ...«
Das Gesicht des Beifahrers hellt sich auf. Er zuckt kurz zusammen, so, als ob er direkt aufspringen will, bleibt dann doch noch zwanzig Anstandssekunden sitzen, bevor er wirklich startet. Dann aber gibt es kein Halten mehr. Er sprintet zur Tür und reißt sie so hektisch auf, dass die Kuhglocke, die oben an der Kante hängt, unangenehm laut bimmelt und sich die Bauarbeiter rumdrehen.
»Grüß Sabina!«
Hat er nicht mehr gehört, egal. Wieder Kuhgebimmel, der Beifahrer gibt einem kleinen Mädchen die Eingangstür in die Hand. Sie trägt eine Caprihose aus Jeansstoffund ein buntes T-Shirt. Mit ihren blonden Haaren und den hellblauen Augen könnte sie glatt als Nicks Tochter durchgehen.
»Honey!«, ruft die Kellnerin erfreut. Das Kind läuft zur Theke rüber, schmeißt ihre Schultasche in die Ecke und umarmt ihre Mutter. Die lässt es kurz geschehen, drückt dem Nachwuchs aber postwendend die Kaffeekanne in die Hand. Ohne dass weitere Instruktionen nötig wären, schnappt sich die Kleine die Kanne und dreht eine Runde durchs Lokal, um den Gästen nachzuschenken. Sie lacht mich fröhlich an, als ich mein deutsch angehauchtes »Please« hören lasse - wie immer mit einem viel zu scharfen »S«.
Das ist echt nicht rauszukriegen. Bimmelim. Warum kommt Nick schon wieder rein? Er sieht aus, als wäre seine Erkältung in den letzten dreißig Sekunden doppelt so schlimm geworden. Mit einem kaum unterdrückten Seufzen lässt er sich in den Stuhl plumpsen.
»Was ist?«
»War nicht da. «
»Ach, Sabina hat bloß das Klingeln nicht gehört. Wahrscheinlich hat sie mal wieder diese Mucke superlaut aufgedreht, die sie nicht hören darf, wenn du da bist. Dieser Italo-Sülz. Wie heißt die Alte nochmal?«
»Laura Pausini. «
Nick steckt sich den Finger in den Rachen und macht Würgegeräusche.
»Tja. Frauen. Wie sagt der Ami: Can't live with them, can't kill 'em.«
Du kannst sie nicht aushalten - aber umbringen darfst du sie auch wieder nicht. Nick quetscht sich einen Schmunzler ab. Das kleine Mädchen hat sich ihren Ranzen wieder umgeschnallt und drückt ihrer Mutter zum Abschied einen Kuss auf die Wange.
»Love you, mom«, trällert sie auf dem Weg zur Tür.
»Love you too, honey«, ruft ihr die Kellnerin etwas mechanisch hinterher. Ich schaue zum Beifahrer rüber. Er sieht schon wieder aus, als wäre er tausend Meilen weg. Dann unterbricht er seine Duldungsstarre doch noch.
»Was wäre eigentlich, wenn wir in den letzten zwanzig Jahren mit unseren Eltern so viel gesprochen hätten wie mit Kellnern, Rezeptionistinnen und so weiter? Ich meine, am Ende des Tages wäre die Zeit doch besser angelegt gewesen, oder«
Wohin geht denn diese Reise? Nick bemerkt meinen Blick und macht eine entschuldigende Bewegung mit der Hand.
»Na, ich meine, dieses ganze Alleine-Rumhängen und so, nervt dich das nicht auch manchmal? «
»Klar, deshalb will ich mir demnächst ja auch einen Altair-8800- Bausatz holen ...«
Ich grinse ihn an, aber er verzieht keine Miene, sondern fällt wieder in sein fiebriges Brüten zurück. Sobald die Kellnerin wieder ins Blickfeld kommt, wedeln wir mit unseren Tassen in der Luft rum. Ja, one more. Und bitte mit Koffein.
$003C
Highway-Hypnose - so nennen das die Amis, wenn jemand auf einer lasergeraden Straße einpennt und sein Auto in den Graben setzt. Heute sind wir eine echte Risikogruppe für Highway-Hypnose, oder besser gesagt: Ich bin eine Risikogruppe, denn der Beifahrer schläft. Das hat er noch nie gemacht. In all den Jahren, auf all den Straßen, hat er niemals auch nur einen Moment die Augen zugemacht, während ich am Steuer saß. Es gab immer etwas für ihn zu tun: Als noch gedruckte Karten mit an Bord waren, hat er damit rumgenestelt und mit Bleistift kleine Notizen draufgekritzelt; später dann, als die Rechner anfingen mitzureisen, starrte er entweder auf den Bildschirm in seinem Schoß oder aus dem Fenster. Er ist eben der perfekte Beifahrer. Dabei wirkte er niemals auch nur ansatzweise gelangweilt. Langeweile kennt er überhaupt nicht, dafür ist er viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt. Einfach so einpennen. das wäre allein schon deshalb tabu gewesen, weil es die Kumpel-Solidarität untergraben hätte. Wenn einer wach bleiben muss, bleiben alle wach. Heute ist der Tag für die große Ausnahme gekommen. Nick schläft und ich muss die Monotonie allein ertragen. Dabei könnte ich gerade jetzt eine dieser passiv-aggressiven Nerd-Diskussionen, die den
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