Extraleben - Trilogie
quält sich geduldig durch das Gatter, um endlich vorne beim Einreisebeamten die roten Augen in die Kamera halten zu dürfen. Seit ein paar Jahren schießen die Amis von jedem verdächtigen Reisenden ein Foto, der ins Land will-also von jedem. Die Daten müssen für Augenforscher pures Gold sein: rote Augen und Bindehautentzündungen aus aller Herren Länder. Und mittendrin Waldorf und Statler mit ihren Einreiseformularen, die sie mit letzter Energie brav im Flugzeug ausgefüllt haben: das weiße Zollzettelehen mit der Erklärung, dass wir nicht mehr als 10 000 Dollar dabei haben, und natürlich das grüne Teil mit der Gewissensprüfung: Mit diesem Formular sollen potenzielle Feinde des Homelands entlarvt werden. Wirklich ausgebufft, die Fragetechnik, da macht dem Ami wirklich keiner was vor.
» Am geilsten ist die Zeile: Ersuchen Sie um Zugang, um unmoralische Aktivitäten durchzuführen!«, flüstere ich. Nick prustet los, hält sich aber schnell die Hand vor den Mund, damit bloß niemand auf uns aufmerksam wird. Unser Punk bewegt sich wie immer in engen Grenzen, schließlich wissen wir, dass hinter dem Einbahn-Riesenspiegel an der Wand eifrige Sicherheitsbeamte sitzen, die nur darauf warten, vorlaute Ausländer zu einer kleinen Privataudienz in ihr schalldichtes Kämmerlein einzuladen. Nick grinst und deutet mit der Kinnspitze auf das Mädel vor uns. „Da würde ich unmoralische Aktivitäten nicht ausschließen.«
Harr, harr, Piratenlachen. Wow, wenn selbst er sich ins Zotenrandgebiet vorwagt, ist er echt hinüber. Sieht asiatisch aus, aber auch ein bisschen wie die Mädels in Ki. Sie hat ungefähr Sabinas Format, wirkt aber deutlich größer, weil sie auf hohen perlmuttfarbenen Besorgs-mir-Riemchensandalen steht. Leicht overdressed für die Einwanderungsschlange. An der Hüfte, zwischen dem Bund der dunklen Jeans und dem T-Shirt mit Hello-Kitty-Aufdruck, quillt ein wenig braune Haut heraus. Hat einfach Klasse - und ist obendrein eine Multitasking-Queen: Während sie mit der einen Hand ihre silberne Handtasche sichert, jongliert sie mit der anderen ihren Pass und das Handy, in das sie pausenlos reinquatscht. Trotz ihrer massiven Tussigkeit steht nicht United States auf dem Pass, sondern Kasachstan.
»Eure Hot-heit hat wohl die Handyverbotsschilder nicht gesehen «, mokiert sich der Beifahrer. Insgeheim sind wir natürlich total aufgeregt, angesichts von so massiver Billigkeit. Vor allem nach einem Tag im Flugzeug. Von wegen Druckverlust. Während sie plappert, klimpert an ihrem Telefon ständig ein silbernes Medaillon hin und her, das wohl ein Sternzeichen darstellen soll. Ohne seinen Blick von ihrer Klempnerspalte loszueisen, säuselt Nick.
»Yeah, Baby, zeig uns deinen Ass-zendenten.«
Warum muss man ihn erst krank machen und zwei Tage lang wach halten, bevor er sich wie ein normaler Mensch benimmt?
»Is niiice«, kontere ich mit einer sehr schlechten Borat-Imitation. Nick röchelt herzhaft, bis der nächste Hustenanfall das bisschen Heiterkeit wieder aus ihm rausschüttelt und er in alte Verbitterung zurückfällt.
»Zuhause wartet bestimmt ihr Froind auf sie, irgendein Computer-Wunderkind, das für einen Dollar die Stunde Skripte programmiert «, grummelt er.
»Jap, die Jungs werden uns in unserer kollektiven Lounge Deutschland noch richtig plattmachen. Die kennen nichts als Arbeit. Für die ist ihre eigene Beerdigungsfeier die einzige After-Job-Party.«
Immerhin, der Beifahrer grinst wenigstens mal wieder, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
$003A
Unser ganzes Geschisse wegen des Grid, der Mikrochip-Baupläne und der ach so geheimen Dokumente aus Irvings Archiv war natürlich völlig überflüssig; der Typ am Zoll hat nicht mal von seinem Stehpult hoch geguckt, als wir mit unserem Computermuseum unterm Arm vorbeigewankt sind, sondern nur weiter mechanisch mit der Hand gewunken. Danach war die Luft völlig raus. Fünfzig Meilen hatten wir noch unterm Fuß, mehr nicht. Gerade genug, um aus Seattle raus kommen, raus aus der Metropole mit ihren lästigen Möglichkeiten, und ab auf den offenen Highway. Beim erstbesten Motel, wo man wochenweise bezahlen konnte, sind wir rausgefahren. Arrowhead, Trailhead oder so. Wochenmiete ist immer gut, denn das zieht Gäste an, die deinen Sicherheitsabstand achten und nicht auf die Idee kommen, ein Gespräch anzuzetteln. Schließlich denken sie, dass du - wie sie selbst - einen 38er Revolver im Wagen hast, vielleicht sogar ein größeres Kaliber. Manchmal muss
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