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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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wie Elefanten im Zoo, die sich gegenseitig wärmen, wenn der erste Schnee aufs Gehege fällt. In einigen Kabinen brennt schon wieder Licht. Nebenan an der Tanke trägt ein Student, der die Nachtschicht geschoben hat, die Geräte zum Reifendruckmessen wieder raus an die Zapfsäulen. Die Autobahn wacht auf.
    »... möglich wäre natürlich auch die brutale Variante. Einfach ein extrem starkes elektromagnetisches Signal auf den Herzschrittmacher abfeuern, das hätte vielleicht auch aus der ersten Reihe funktioniert. Schließlich steht in den Gebrauchsanleitungen von Elektroautos, dass Menschen mit Schrittmacher nicht näher als sechzig Zentimeter an den Motor rangehen dürfen, weil die so stark strahlen. Überhaupt: War es nicht so, dass da jemand sofort aufgesprungen ist, als Irving zusammenklappte? Vielleicht war es ja genau umgekehrt: Dieser jemand ist aufgestanden, um näher an sein Opfer ranzukommen, und hat dann das Funksignal abgefeuert, zum Beispiel mit einem Sender, der in einer Tasche ...«
    Junge, Junge. Kann ja alles sein, aber die Geschichte ist doch längst gegessen, vorbei, begraben. Major Tom hat gesagt, dass sie uns in Ruhe lassen werden, und das haben sie getan. Basta. Es gibt keinen Grund, sich weiter einen Kopf zu machen. Vielleicht ist genau das »mein Problem«, von dem Nick immer spricht. Aber das Rätsel ist gelöst, weiterspekulieren führt zu nichts. Er verpulvert wertvolle Energie, die er besser für die nächsten paar Jahre aufsparen sollte, denn dann wird er sie verschärft brauchen. Mag sein, dass genau hier der Unterschied zwischen einem Legacy Systems Consultant und einem Data Retrieval Specialist liegt, doch es ist mir egal. Ab morgen wird gelebt. Ein bisschen von diesem Morgen kann man sogar schon sehen. Hinter Nicks Hand, die mittlerweile wieder durch den Nachtwind surft, schimmert es grau durch die Bäume.

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    Achtung! Bei Dienstende müssen die Wasserhähne überprüft werden. Ein ordentlicher Geist hat die Worte sauber in Times New Roman, 24 Punkt, ausgedruckt und das DIN-A4-Blatt von außen an der Toilettentür geklebt. Und die gleiche Person hat den Zettel sogar in so eine durchsichtige Plastikhülle gesteckt, die es in Büros immer gibt - damit Wasserspritzer die Buchstaben, und damit die wichtige Instruktion, nicht unleserlich machen. Vorbildlich. Dienstende. Ich steige die Treppe von der Toilette zum Gastraum hoch und gehe raus auf die Terrasse, wo Nick schon neben zwei Kännchen Kaffee in der Sonne grillt.
    »Alter?«, flüstert er.
    »Alter«, sage ich und lasse mich fallen. Eigentlich waren wir schon fast zuhause, die ersten bekannten Radiosender kamen rein, wir wussten, welche Ausfahrt auf der Autobahn als nächste kommen würde und wer da früher mal gewohnt hat. Doch dann machte der Beifahrer den genialen Vorschlag, nochmal rauszufahren, und da das bedeuten würde, nicht gleich vor der Tür zum Dorint stehen zu müssen, war ich sofort dafür. Also sind wir nochmal von der Autobahn runter und rein in die kleine Stadt im Süden. Haben neben dem Zoo geparkt und sind runter zum Marktplatz marschiert, genau zu dem Café, in das wir uns damals besser mal reingesetzt hätten, am Tag, als Irving starb. Schweigend sind wir an den Geschäften vorbeigelaufen, dem 1-Euro-Shop, der Erotikbar Chérie, der seelenlosen Filiale einer Kettenbäckerei. In der Auslage krabbelten ein paar Bienen träge über die Puddingteilchen. Nur noch ein paar Wochen, dann würden da diese Nikoläuse aus Hefeteig liegen: Die Grundschüler würden sich um die Lollis streiten, während die Teenies einen irren Spaß daran hätten, abends mit der Pfeife ihren Shit zu rauchen oder zumindest darüber zu reden. Weil so viel passiert ist, fühlt es sich an, als ob der Sommer schon fast vorbei ist, dabei waren wir nur ein paar Tage weg und der Hochsommer kommt erst noch. Sommer. Wenn man anfängt, wie die Indianer statt in Jahren in Sommern oder anderen Jahreszeiten zu rechnen, erscheint einem alles lächerlich kurz. Nur noch zwanzig Sommer bis zur Rente. Wie kurz ist das bitte? Waldorf und Statler lehnen sich zurück und schauen den guten Bürgern der Stadt zu, wie sie ihre kleinen Erledigungen erledigen, damit am Dienstende auch alles seine Ordnung hat. Das Paar im mittleren Alter, er mit Jutetasche, sie daneben wild gestikulierend, schlendern die Einkaufsstraße entlang. Eine alte Dame mit Kamelhaarblazer und Perlenohrringen - sie sieht mit ihren kurzen Haaren wie Loki Schmidt aus - hat es sehr eilig.

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