Extraleben - Trilogie
durchschmoren.«
»Ich dachte, Elektronik hält ewig, wenn man nichts falsch macht.«
»Nicht unbedingt. Wenn durch einen besonders dünnen Draht viel Strom fließt, kann es nämlich sein, dass die Elektronen mit der Zeit ein paar Atome mitreißen - wie bei einem Bach, der an einer engen Stelle so schnell fließt, dass die Strömung kleine Steinchen am Grund weiterkugelt. Äh, nur dass die Stromleitung dadurch - anders als der Bach - nicht breiter wird, sondern schmaler.«
Hä? Zufrieden über seinen wirren Vergleich faltet der Beifahrer die Hände vor der Brust, bevor er mit seinem Vortrag weitermacht.
»Der elektrische Strom reißt also immer wieder einige Kupfer-Atome mit, bis der Draht irgendwann so dünn ist, dass er bricht. Die Verbindung zu den angeschlossenen Transistoren kollabiert, der Chip funktioniert nicht mehr richtig.«
»So weit, so klar. Aber das klingt jetzt eher danach, als würde das alles eher zufällig passieren.«
»Tut es auch. Bisher ist nur ein Fall bekannt geworden, in dem Chips durch Elektromigration zerstört worden sind, und zwar bei der Firma Western Digital ...«
»... wo Irving gearbeitet hat! «
Wohlwollend schließt Nick kurz die Augen .
»Genau. Es gibt natürlich bei der Konstruktion von Chips klare Regeln, die vorschreiben, wie breit bestimmte Verbindungen sein müssen und so weiter, damit es eben keine gefährliche Elektromigration gibt. Aber ein Lieferant hatte sich wohl nicht dran gehalten, sodass die integrierten Schaltkreise - und damit auch die Festplatten - nach einem halben Jahr den Geist aufgaben.«
»Testen die Hersteller ihre Chips nicht vorher?«
»Klar. Aber bei Milliarden von Transistoren in einem Prozessor kann man halt nicht alles überprüfen. Die Teile sind längst so kompliziert, dass du alle Nebenwirkungen nicht mal mehr mit einem Supercomputer berechnen könntest. Es geht in der Chip-Entwicklung oft nur noch darum, keine schlimmen Fehler einzubauen. Erinnerst du dich noch an den FDIV-Bug beim Pentium?«
»Bei bestimmten Zahlenkombinationen gab's Rechenfehler, oder? Alle hatten damals Angst, irgendwelche Brücken würden deshalb einstürzen, weil der Architekt seine statischen Berechnungen mit 'nem Pentium gemacht hat.«
Nick lacht.
»Stimmt, genau. War natürlich unsinnige Panikmache. Die Chancen standen eins zu neun Milliarden, dass der Fehler im Alltag einmal auftritt. Und trotzdem trat er bei irgendwem auf und Intel musste eine Million Pentium-Chips umtauschen.«
»Okay, so weit, so gut. Irving hat also vor zwanzig Jahren in den Prozessoren diesen Bug, einen besonders anfälligen Draht im Chip, entdeckt. Alle anderen Forscher haben ihn übersehen, und wahrscheinlich hätte ihn bis heute niemand entdeckt. Wo liegt das Problem?«
»Das Problem liegt in der Rom-Theorie, die kennst du doch?«
Ob ich zustimme oder nicht, spielt keine Rolle, er wird ohnehin alles nochmal erklären. Und ... Bingo!
»In der Computerwelt steht das meiste Neue auf den Ruinen von was Altem, das ist in der Halbleiter-Industrie nicht anders.«
Nick stapelt seine Hände übereinander - süß, wie er versucht, es für seinen Zuhörer extra idiotensicher zu erklären.
»Selbst die allerneuesten Super-Prozessoren basieren meist auf Chips, die es schon seit Jahren gibt - ganz einfach weil es unbezahlbar wäre, etwas Brandneues zu entwickeln. Außerdem müssen alle neuen Prozessoren abwärtskompatibel sein. Das führt dazu, dass selbst die modernste Maschine tief in sich drin die Gene aller Vorfahren der letzten zwanzig Jahre mit sich rumschleppt. Beim Pentium zum Beispiel war fast die Hälfte der Transistoren nur dazu nötig, damit der Prozessor auch alte Programme vom 286er ausführen kann. Und wenn sich vor zwanzig Jahren irgendwo ein Fehler eingeschlichen hat, kann es gut sein, dass ein Großteil aller Rechner auf dieser Welt diese Zeitbombe in sich trägt.«
»Bisher ist sie aber noch nicht hochgegangen ...«
»... Richtig. Doch das muss ja nicht so bleiben. Ich gebe zu, hier wird die Sache etwas theoretisch ...«
Hier erst?
»... Aber stell dir einfach mal vor, Irving hätte nicht nur die Schwachstelle gefunden, sondern auch einen Weg, sie auszunutzen. Zum Beispiel mit einem Programm, das gezielt Strom auf die kritische Verbindung lenkt und so die Elektromigration beschleunigt. Und jetzt stell dir vor, dass dieses Programm per Virus verbreitet wird ...«
» ... alle Maschinen, deren Prozessor die Schwachstelle hat, würden nach einiger Zeit abrauchen, und zwar
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