Extraleben - Trilogie
Boden übrig bleibt. Deshalb war ich auch nicht besonders neugierig auf seine neuesten Anweisungen.
»Heißt?«, maulte ich zu Nick rüber. Anstatt zu antworten, fingerte er kurz auf den Knöpfen der Mittelkonsole rum, bis er das Navi-Display endlich dazu kriegte, surrend ins Armaturenbrett abzutauchen. Das bedeutete: Er kennt den Weg, unser Termin würde also ein Heimspiel werden.
»Das Übliche: irgendeine alte Kiste, irgendein staubiges Tape. Wir sollen die Daten rausholen, auf ein modernes System migrieren, fertig«, leierte Nick runter.
»Und jetzt kommt der Hammer: Major Tom wartet in Falkenhain mit dem Kram auf uns - am Flughafen!«
»Echt? Da kann man noch landen?«
Vor Jahrzehnten hatten wir uns den Flughafen mal am Wochenende angeschaut, als Teenies, um das zu tun, was coole Teenager unter keinen Umständen am Wochenende tun: anderen Leuten zugucken, wie sie ihre Modellflugzeuge steigen lassen. Falkenhain wurde im Zweiten Weltkrieg als Notflughafen angelegt. Schon bei unserem Besuch damals wuchs zwischen den Betonplatten der Piste büschelweise Löwenzahn raus. Das ist echt der Arsch der Welt, ohne Tower und so.
»Anscheinend wird die Piste noch benutzt«, sagte Nick und kippte seinen Kopf ein bisschen zur Seite, sodass sein Ohr auf seinen Dienstrechner zeigte, der in der Ablage zwischen den Sitzen steckte -neben zwei gedruckten Stadtplänen, die er dort immer noch als nostalgische Dekoration aufbewahrt.
»Ach ja, und Major Tom sagt, dass wir erst mal unsere Rechner ausmachen sollen«, erklärte der Beifahrer, der an diesem Abend leider der Fahrer war. Ich drehte mich zu ihm um, aber anstatt Johns seltsame Anweisung zu erklären, knirschte Nick nur ein bisschen mit dem Kiefer. Von seinem Begrüßungsgrinsen war nichts mehr übrig.
#02 T-8: 15:17
Deutschland ist ein sommerfeuchtes Land. In Erdkunde haben wir ja original nur Mist gelernt, zum Beispiel wie viele Toiletten es in Algerien pro Einwohner gibt und so. Aber das mit der Sommerfeuchte, das stimmt einfach. Der Regen fiel in ganzen Vorhängen runter, so, als ob jemand auf dem Autodach steht und alle paar Meter einen vollen Eimer gegen die Scheibe pfeffert. Sobald der Wagen auch nur in eine kleine Senke abtauchte, prasselte das Wasser aus den Pfützen von innen gegen die Kotflügel. Vor zehn Minuten waren wir durch das letzte trostlose Kaff gerauscht, vorbei am verrammelten Quelle-Shop, einer Bushaltestelle und zwei Dutzend Kinderschänder-Häusern - das sind die, die in den Sechzigern von außen mit Kacheln zugehauen wurden. Ist natürlich total unfair, der Schändungsverdacht, aber irgendwie denkt man bei diesen düsteren Klötzen automatisch, es seien Tatorte. Passend zum Klischee müsste innen natürlich alles schön mit Eiche rustikal zugestellt sein. Mittlerweile war die Landstraße so schmal geworden, dass die Leitpfosten nur Zentimeter vom Fenster entfernt vorbeiflogen. Es gab nicht mal mehr einen Mittelstreifen. Schon zweimal hatte Nick voll in die Eisen steigen müssen, weil jemand mit Fernlicht um die Kurve geschossen kam und uns geblendet hatte, was ihn natürlich jedes Mal voll aus dem Konzept brachte. Er fährt so was von mies, er ist nicht umsonst der Beifahrer. Sein Nervensystem ist einfach nicht dafür gemacht, Informationen in drei Dimensionen zu verarbeiten. In seinem Hirn zuckelte die Straße wahrscheinlich so daumenkinomäßig vorbei wie damals die Strecke bei Hard Drivin'. Und dann auch noch der Regen, der brachte ihn erst recht ans Limit. Fehlte nur noch laute Musik, und schon wären wir in einer Folge vom »Siebten Sinn« gelandet, in der der junge »Kraftfahrer« darauf hingewiesen wird, wie gefährlich so eine nächtliche Discofahrt sein kann, und in der mindestens einmal das Wort „Obacht« fällt. Das Letzte, was Nick jetzt brauchte, war Ablenkung. Deshalb hielt ich das Gespräch kurz.
»Zuhause alles okay?«
Geht es der Frau, die ich mein halbes Leben lang geliebt habe, auch wirklich gut? Nick brummte nur kurz. Auf einmal ließ der Regen kurz nach und wir konnten ihn sehen: diesen blauen, pulsierenden Nebel, der über den Baumwipfeln lag. Es waren Blaulichter von Einsatzfahrzeugen. In diesem Moment wussten wir, dass Major Tom nicht planmäßig zur Erde zurückgekehrt war.
#03 T-8: 15:12
Flugzeugabsturz -das klingt ja immer spektakulär. So nach gigantischem Feuerball, verkohlten Trümmern, einer »Schneise der Verwüstung« und dem ganzen anderen Katastrophenkram, den die Reporter im Fernsehen immer abspulen.
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