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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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übrig sind. Die reine Pest, so ein alter Bildschirm, voll mit Cadmium und Blei. Nick lässt seinen Blick noch einmal kurz über den Oldie wandern und setzt zur Diagnose an.
    »Wie gesagt: Ein IBM einundfünfzig-zehn, ein -haha - tragbarer Computer aus den späten Siebzigern. Innen drinnen alles handgeklöppeltes Zeug, kein Prozessor von der Stange. Unmöglich, dafür Ersatzteile zu kriegen. Außerdem ist das RAM flüchtig, wie beim C64. Das heißt: Stellste den Strom ab, sind die Daten weg.«
    Er schlängelt sich wieder aus der Kabinentür.
    »Ne, sorry, es Johnt sich nicht, das Teil mitzunehmen. Damit kriegen wir das Tape niemals ausgelesen.«
    Er zeigt auf die Tüte in meiner Hand. „Was da drauf ist, müssen wir mit einer anderen Kiste rausfinden.«
    Warum John auch immer diese riskante Reise angetreten hat, es musste was mit dem Tape zu tun haben. Während Nick sich schon wieder Richtung Straße umdreht, schaue ich nochmal in die Kabine. Seltsam: Das Tape hätte im Prinzip jeder bergen können, warum also sollten gerade wir kommen?

#05 T-8: 14:34
    Wir sitzen in unserem Auto ohne Eigenschaften und rollen schweigend durch die Nacht. Jeder ist damit beschäftigt, zu vergessen, was er gesehen hat. Inzwischen regnet es ein bisschen weniger, sodass Nick sich hinterm Steuer halbwegs entspannen kann. Er lenkt nur noch mit einer Hand. Wir gondeln über die gleichen Straßen, die wir schon zu Schulzeiten entlanggefahren sind - auf dem Weg zu Partys, bei denen Flaschendrehen gespielt wurde, Frauen mit Blue-Curacao-O-Saft abgefüllt wurden, und die damit endeten, dass man in den Vorgarten von irgendwelchen Eltern göbelte. Das Schlimmste daran war immer der soziale Schaden, der ließ sich nicht wegwischen. Mit der Göbelei versaute man sich nämlich die letzten Chancen bei dieser süßen Soundso, deren Vater, wie fast alle hier, beim Bund schaffte und der seine Familie gerade im Reihenhaus nebenan einquartiert hatte. Trotzdem 'ne entspannte Zeit. Wenn damals von »Zukunft« die Rede war, meinte man maximal den nächsten Freitag. Schön, mal wieder an all den bekannten Ecken vorbeizukommen: Da vorne, da kommt gleich der alte Bahndamm, oder, Alter? Da haben wir immer die Pfennige auf die Gleise gelegt, um sie vom nächsten Zug platt walzen zu lassen. Und in das Feld gleich dahinter hat Holger seinen Kadett gesetzt, weil er »einem Kaninchen ausweichen wollte«, wie er verkündete. Haha. Oberamtsstrack war er natürlich. Eigentlich könnte man sagen, dass die Gegend hier unsere Heimat ist, aber das wäre ein ziemlich großes Wort, und vor großen Worten haben wir, das letzte Aufgebot der Generation X, ziemlich viel Angst. Nick hat die Ecke deshalb mal »das alte Land« getauft. Damit meinte er natürlich nicht dieses echte alte Land - das ist ja oben in Hamburg oder so, sondern eben dieses kleine Stückchen alter BRD, auf dem wir groß geworden sind - in einer Zeit, als es so was wie die BRD noch gab. Das alte Land, das lag irgendwo zwischen einer kleinen Stadt in Deutschland und Adolfs Westwall und war damals weltpolitisch verdammt wichtiger Boden. Wie immer, wenn er sich selbst beruhigen will, fängt der Beifahrer an, aus dem nuklearen Nähkästchen zu plaudern.
    »Wusstest du ... «
    Nein, wusste ich nicht, ich wusste noch nie etwas, das nach diesen Worten kam.
    » ... dass die Amis drüben auf dem Fliegerhorst noch startbereite Atomraketen lagern?«
    »Echt?«
    »Ja, zwanzig Stück, die liegen da seit den Achtzigern. Gespenstisch, oder?«
    »Hm«, pflichte ich brav bei. Er hat mal wieder seine Lieblingsplatte rausgekramt - den Song vom Kalten Krieg, der eigentlich noch lauwarm vor sich hinköchelt. Und im Prinzip hat er ja recht: Wenn man genau hinsieht, gibt es überall noch diese kleinen Relikte aus der Zeit, als der Feind noch im Osten stand. Wer heute zum Beispiel ein GPS-Gerät verkaufen will, ist immer noch gezwungen, eine kleine technische Sperre einzubauen: Sobald sich das Gerät schneller als mit 1.900 Kilometern pro Stunde bewegt oder höher als 18.000 Meter fliegt, muss es sich abschalten. Warum? Damit keiner das Teil benutzen kann, um seine eigene ballistische Interkontinentalrakete zu basteln. Die Regel haben die Amis Anfang der Neunziger durchgedrückt - und sie gilt bis heute.
    »Die Zukunft ist schon da, sie ist nur noch nicht gleich verteilt«, hat William Gibson mal gesagt. Genau das Gleiche gilt für die Gegenwart, sie ist auch noch nicht gleichmäßig verteilt. Da ihm keine Anschluss-Story zu der

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