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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constantin Gillies
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seine verschwurbelt-unverständliche Art wollte er damit sagen, dass in unserem kleinen Nerd-Paradies die Zeitrechnung 1995 enden sollte. Kein Rechner in unserem Büro durfte jüngeren Jahrgangs sein, forderte der Yesterday-Man. Lisa-Prinzip deshalb, weil man beim Apple Lisa ja auch kein Datum einstellen konnte, das jenseits von 1995 liegt, also in der damals unvorstellbar weit entfernten Zukunft. Eine spätere Jahreszahl akzeptierte die Kiste einfach nicht, weil die Programmierer nur vier Bit für den Zähler reserviert hatten. Deshalb sprang nach Silvester1995 die Zeit wieder auf1980 um. Eigentlich eine coole Idee für noch so einen Murmeltiertagfilm, »Lisa, der helle Wahnsinn II« oder was weiß ich. Meinen Einwand, ob es nicht ein bisschen gestrig sei, nur Elektroschrott ins Büro zu stellen, wollte er natürlich nicht gelten lassen.
    »Wenn du willst, dass etwas vernünftig funktioniert, musst du in der Vergangenheit leben.«
    Das waren seine Worte. So hundertprozentig konnten wir das Lisa-Prinzip am Schluss natürlich nicht durchhalten, das schien dem Beifahrer aber auch egal zu sein. Es ging im Grunde genommen nur darum, ein Arbeitszimmer von der Steuer absetzen zu können - und Steuertricksen ist sein Lieblingssport, seit wir bei der Datacorp arbeiten und nicht mehr bestreiten, »Erwachsene« zu sein. Seufzend schließt Nick die schwere, knallblau gestrichene Stahltür auf.
    »Ah, home, sweet home.«
    Aufgeschlagen hat er unser persönliches Flüchtlingslager schließlich um die Ecke im Gewerbegebiet, im ausrangierten Lagerraum einer ziemlich dubiosen Schwimmbadfirma. Da hat er die letzten Monate fast nonstop rumgehangen, was man allein daran merken kann, wie zielsicher er im Dunkeln mit dem Fuß die Steckerleiste trifft, an der das ganze Stromnetz hängt.
    »Power up«, flüstert Nick. Junge, er hat es sich wirklich gemütlich gemacht, da merkt man echt den erfahrenen Häuslebauer. Oder Höhlenmenschen. An der Decke baumelt eine einsame 20-Watt-Birne, die gerade mal ausreicht, um den Tapeziertisch, der in der Mitte des Kabuffs aufgestellt ist, auszuleuchten. Der Rest des Lochs verschwindet in braunem Zwielicht. Von seinen gesammelten IT-Schätzen, die er in Zehn-Euro-Baumarktregalen eingelagert hat, lassen sich nur geheimnisvolle Umrisse erahnen. Es ist ein Brei aus beigefarbenem Plastik, Netzteilen und Kabeln. Zu den wenigen Sachen, die man sofort erkennt, gehört ein Stapel 1541-Laufwerke für den Commodore 64. Im Fach daneben parkt unser geliebter GRiD Compass aus dem Nachlass von Charles Irving - Gott hab ihn selig. Wir haben letztens rausgefunden, dass der Über-Nerd vom »Trio mit vier Fäusten« auch so einen benutzt hat. Ganz oben unter der Decke, quasi als Krönung des Ganzen, lagert Nicks obskurer Laptop-Schrott aus Japan, von weltbekannten Firmen wie Ampere Inc. Der liebe Papi hat wirklich alle seine Juwelen hergeschafft, die er zuhause auf Befehl von Sabina im Keller verstecken musste. Und so riecht es auch - nach diesem Wasserschaden-Muff, der auch über Börsen für klassische Computer hängt. Mit einem schweren Krachen fällt die Tür ins Schloss. Auf ihrer Innenseite hat der Beifahrer das »Aladdin Sane«-Poster mit Bowie aus seinem alten Jugendzimmer angebracht. Wenn schon retro, dann richtig. Ich kann quasi noch hören, wie ihn seine Mutter zum Essen ruft. Nick wischt mit dem Ärmel seiner Multifunktions-Jacke kurz über den Tapeziertisch, schiebt ein paar unvermeidliche ArduinoPlatinen zur Seite und macht mit der Hand eine Platzanweiserbewegung zu mir rüber. Ich stelle die Tüte mit dem Tape ab und rolle sie vorsichtig aus. Was ist, wenn von dem Blut auch was an die Tüte gekommen ist? Mal kurz die Hände checken. Nein, Gott sei Dank keine rostrote Schmiere drauf. Ich taste mich zur Kassette in der Tüte vor und ziehe sie raus. Sie liegt überraschend schwer in der Hand, wie ein solides IndustrieProdukt, viel massiver als die klapprigen Musikkassetten, auf denen wir unsere ersten Spiele für den Cevi gespeichert hatten. Mein Gott, wie bierernst wurde diese Diskussion auf dem Schulhof geführt: Ist jetzt Chrom besser oder Normalkassette? Nick klappt routiniert den vorderen Rand der Kassettenhülle hoch, holt das Tape raus und rückt es im rechten Winkel zur Tischkante zurecht. Es ist ungefähr so groß wie zwei Kompaktkassetten hintereinandergelegt. Jetzt kann man auch erkennen, warum es so schwer ist: Die Unterseite besteht aus einer dicken Metallplatte, auf der zwei Bandspulen befestigt

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