Extraleben - Trilogie
Telefon.
#06 T-8: 14:19
Ordentlich, wie er ist, zieht Nick den Wagen natürlich sofort auf den nächsten Spaziergänger-Parkplatz rüber und stellt das Telefon auf laut. Jetzt sitzen wir also in unserer Außendienstlerkutsche, mit laufendem Motor, mitten im Wald bei strömendem Regen, um ein Uhr nachts. Die Fahrer in den vorbeirauschenden Autos können - wie so häufig in den letzten Jahren - nur zu einem Schluss kommen: schwules Stelldichein. Eine andere Deutung fällt den Leuten zu zwei Männern im mittleren Alter, die gemeinsam unterwegs sind, nicht ein. Shaun ist dran, mein absoluter Lieblingskollege bei der Datacorp. Angenommen, man nimmt Lorenzo Lamas aus »Falcon Crest«, kreuzt ihn mit einem Budweiser-saufenden Ami aus einer Studentenverbindung und legt nochmal 30 Kilo drauf, ergibt das ziemlich genau Shaun. Alles an ihm ist unsympathisch: sein Pferdeschwanz, sein asoziales Jersey-Englisch - bei ihm klingt »Coffee« immer wie »Koaaahfiee« - und, ach egal, die ganze Packung halt. Was ich ihm besonders übel nehme, ist, dass er sich damals auf dem Einsteigerseminar an Andie rangemacht hat, an meine persönliche Göttin bei der Datacorp.
»Hi-rrrrrrrrrrrrrr-guys.«
Die Verschlüsselungsartefakte knarren durch die Leitung.
»Did you get the tape?«
Shauns Kommandoton hallt aus den Boxen in den Autotüren. Wir gucken uns an. Wie allerliebst, er kommt direkt zur Sache, ohne auch nur ein Wort über John zu verlieren. So was kann Nick nicht ab, da geht ihm gleich der Gutmenschenhut hoch.
»Hey, do you have any information about John?«, feuert er ziemlich scharf zurück. Rauschen. Es dauert bestimmt zehn Sekunden, bis sich Shaun zu einer Erklärung herablässt.
»All I know at this point is, that he's no longer part of the operation.«
Er ist nicht mehr Teil der Operation? Was für ein Herzchen! Ich spüre, wie mein Gesicht langsam heiß wird, dem Arsch muss doch einer mal sagen, was ... Gerade als ich mich zum Mikro vorbeugen will, packt Nick meinen Arm und drückt mich in den Sitz zurück. Sein Blutdruck scheint wieder weit genug unten zu sein, um das Geschäftsgespräch nüchtern fortzusetzen. Vielleicht hat er sogar schon einen Plan.
»Yeah, we've got the tape«, erklärt er ruhig.
»Do you think it's still readable?«, knarrt Shaun. Seine Stimme wackelt ein bisschen, er scheint ordentlich Druck von oben zu kriegen. Nick grinst und lässt ihn noch ein bisschen zappeln, bis er ihn schließlich erlöst.
»I guess so.«
Shauns Aufatmen ist fast zu hören.
»Cool. Let me know when you extracted anything!«
Oh ja, total cool. Zum Kotzen, diese zwangsjovialen Fratboy-Phrasen. John liegt auf der Intensivstation oder ist tot, aber alles ist cool, solange wir die Daten von dem Tape auslesen können, Bro! Klick. Noch bevor wir seine Ansage irgendwie quittieren können, hat Shaun das Gespräch beendet. Nick legt den Rückwärtsgang ein und dreht sich seelenruhig zur Heckscheibe um.
»Und jetzt? Ich meine, was machen wir jetzt?«, frage ich nach. Nick wendet den Wagen im Schneckentempo zu Ende, dann setzt er den Blinker und legt den Vorwärtsgang ein.
»Wir haben gesagt, dass wir das Tape auslesen. Aber wir haben nicht gesagt, wie schnell.«
Dann zwinkert er gespielt lässig mit dem Auge, gibt Gas -und würgt den Wagen ab.
#07 T-8: 13:39
Im Altenheim gibt's ja angeblich spezielle Zimmer für Demenzkranke, die genauso eingerichtet werden, wie die Oldies das in ihrer Jugend gut fanden, also mit Nierentisch und Peter-Kraus Poster an der Wand et cetera. Wenn man die Alten da reinsetzt, werden sie angeblich ganz ruhig und happy, weil sie sich wieder zuhause fühlen. Wir haben uns auch so ein Demenzzimmer eingerichtet, nur bei uns heißt es Büro. Die Idee kam natürlich vom Beifahrer, und auch wenn er es hartnäckig abstreitet, ist seine Tochter an allem schuld. Denn ungefähr ein Monat, nachdem sie geboren wurde und der liebe Papi sich nächtelang mit vollgeschissenen Windeln beschäftigen musste, fing er plötzlich an, davon zu faseln, dass man als seriöser »Wissensarbeiter« doch »feste Strukturen« bräuchte und diese Arbeit im »Home Office« nicht so der wahre Jakob sei. Übersetzt bedeutete das, frei nach Purple Schulz: Ich. Will. Hier. Raus. Die Idee war natürlich erst mal gut und verlangte nach einem großen Plan. Wenn wir uns schon einen Panic Room einrichten würden, dann aber auch richtig, das war klar.
»Wir gehen nach dem Lisa-Prinzip vor«, hatte Nick sofort als Devise ausgegeben. Auf
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