Extraleben - Trilogie
sind. Sie sehen genauso aus wie bei den Bandmaschinen, die früher in Tonstudios standen. Gab es nicht auch mal Kompaktkassetten, die als Gag solche Spulen hatten? Doch, auf so eine hatte mir Nick die Maxi von »Axel F.« aufgenommen. Vorne schlängelt sich das Band an einem kleinen Plastikfensterchen vorbei. Nick hebt die Klappe kurz an, um sie mit einem lauten Klacken gleich wieder zuschnappen zu lassen. Die Bewegung soll sagen: Über die Details brauchen wir kein Wort zu verlieren, oder? Vor uns liegt eine Quarter-Inch-Cartridge, eine Speicherkassette, mit der die Firmen in den Siebzigern und frühen Achtzigern ihre fetten Back-ups gemacht haben - oder besser gesagt: ihre für damalige Verhältnisse fetten Back-ups. Denn die 90 Meter Band in der massiven Kassette reichen gerade mal, um lächerliche 204 Kilobyte zu speichern. Jedes Bildchen im Netz von Cheerleadern, die unter Alkoholeinfluss lesbische Experimente starten, braucht heute mehr Platz. Für mich sieht das Tape brauchbar aus.
»Ist okay, oder?«, taste ich mich vor. Doch Nick runzelt die Stirn. Mit einer derart oberflächlichen Analyse kann sich der Fast-Informatiker natürlich nicht zufriedengeben, zumal er mir dann hätte recht geben müssen, was er aus Prinzip nicht tut.
»Weiß nicht.«
Nick zieht eine Lupe mit eingebauter Neonröhre rüber, die am Rand des Tischs klemmt, und knipst sie an. Im blassen Licht dreht er die Cartridge vorsichtig hin und her, so, als würde er eine Leiche nach subtilen Hinweisen auf die wahre Todesursache absuchen. Wie immer, wenn er sich viel Zeit für eine Nebensächlichkeit lässt, gibt es eine einfache Erklärung dafür: Er spielt insgeheim eine Filmszene nach. Nur welche?
»CSI« vielleicht, oder »Quincy«? Nein ... Genau! Er seziert die Cartridge genauso wie Ash den Face-Hugger in »Alien«.
Als Eingeweide für den außerirdischen Krabbler hatten die Special-Effects-Typen ja nur rohe Austern und Reste vom Fischmarkt verwendet, trotzdem ein cooler Effekt. Zieht er das ganze Theater wirklich nur durch, um das Autopsie-Klischee voll auszukosten? Nein, dafür nimmt er sich zu viel Zeit, es muss noch ein dickes Ende kommen ...
»Guck mal, am Umlenkbolzen!«, verkündet Nick stolz. Und da ist es schon, das dicke Ende. Er berührt mit dem Finger einen der silbernen Stifte, um die sich das Band in der Kassette herumschlängelt. Und wirklich: Da klebt ein bisschen dunkelgelbe Schmiere, die wie Honig aussieht. Nick schaut mich an. Als Audio-Nerd a. D. weiß ich natürlich, wie die Diagnose lauten muss: Leimspuren. Mit dem Problem hatten wir schon ein paar Mal zu tun. Wenn so ein olles Magnetband aus den Siebzigern nämlich feucht wird, kann es sein, dass die Schicht kaputtgeht, mit der die Oxydpartikel an das eigentliche Band geklebt sind. Irgendwann kleckert der Kleber dann raus, sammelt sich an den Spulen, bis das Band sich nicht mehr bewegt oder beim Abspielen reißt. Es ist Zeit für mich, das Offensichtliche vorzuschlagen.
»Dörte?«
Der Beifahrer dreht nochmal vorsichtig an der Spule und nickt.
»Ein Fall für Dörte.«
Diesen wahnsinnig originellen Namen haben wir unserer treuen Schweizer Dörrmaschine gegeben. Mit der lassen sich solche Bänder nämlich retten, der Trick heißt in Tonstudios Baking: einfach das Tape ein bis zwei Stunden bei 50 Grad in so ein Dörrgerät werfen, mit dem man sonst Zeugs wie getrocknete Bananenchips macht - und schon schnurrt das Band wieder locker durch, zumindest ein Mal. Zum Datenauslesen reicht das normalerweise. Nick ist sofort voll dabei und holt die Kiste raus.
»Und ich weiß auch schon, was wir in der Zwischenzeit machen« , jubiliert er aus der dunklen Ecke.
#08 T-8: 13:26
»Das Teil ist der Hammer!«
Allein seine Ansage ließ nichts Gutes vermuten, und dann kam es auch ziemlich dicke: Nick schleifte einen Altpapier-Karton in die Mitte des Büros und fischte aus den stinkenden Tiefen eine RCA Studio II ans Licht, eingesponnen in einen Wust aus Kabeln. Die Studio II ist so ziemlich die einzige antike Spielkonsole, für die Sammler noch keine Fantasiesummen hinblättern. Baujahr 1977, ein Plastikklotz, so groß wie zwei alte Telefone. Dass er ausgerechnet jetzt mit diesen elektronischen Belanglosigkeiten anfangen würde, war klar. Immer, wenn das Schicksal irgendwie zuschlägt, verbarrikadiert er sich in seiner Nerd-Welt, das ist bei ihm reiner Selbstschutz. Damals, als sein Dad gestorben war, hatte er sich auch eine Woche lang zurückgezogen, um aus seinem Apple
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