Extraleben - Trilogie
entfernt. Um seine Therapie nicht zu stören, beschränke ich mich darauf, mir seine Haribo Quaxi-Fröschli reinzuschieben und dem Säuseln der Dörrmaschine zu lauschen. Zu allem Überfluss scheint die Konsole auch noch kaputt zu sein. Denn die weißen Blobs frieren alle paar Sekunden ein oder verschwinden, um dann an einer völlig anderen Stelle wieder aufzutauchen. Langsam ist meine Geduld am Ende.
»Alter, mal im Ernst: Das Teil ist ja absoluter Scheiß! «
Nick sendet einen maximal verärgerten Blick rüber.
»Nein, das Teil ist ein Meilenstein! «
Aus meiner langjährigen Kumpelerfahrung weiß ich, dass das eine das andere nicht unbedingt ausschließen muss. So richtig glauben kann Nick an sein Gefasel aber anscheinend selbst nicht, jedenfalls fängt er ziemlich hysterisch an zu lachen -als Kinder hätten wir gesagt: zu geiern.
»Ich zitiere Tom Hall, Designer von Doom: Je niedriger die Auflösung, desto besser die Kunst. «
Weiteres Kichern.
»Jedenfalls ... «, er stopft sich auch eine Hand voll Quaxis in den Mund, »jedenfalls werde ich mir mal den Speicher anschauen, den Code des Spiels auslesen, ein bisschen die Maschinensprache vom RCA-1802-Prozessor studieren -der steckt da nämlich drin -, und dann werde ich die Welt regieren. Har, har, har!«
Das Lachen soll wie das eines wahnsinnigen Bond-Gegenspielers klingen, ist aber viel zu dünn mit Ironie überzogen, um verstecken zu können, dass er es ernst meint. Die Diagnose: Tastenkombination IDDQD - er steckt im God Mode fest. Sobald ich das Büro verlassen habe, wird er exakt das tun, was er gerade angekündigt hat: Er wird die Konsole auseinandernehmen, die Sprache des Prozessors lernen, den Spielcode debuggen -und nicht aufhören, bevor das Teil wieder läuft wie zu dem Zeitpunkt, als es neu war und wir noch in den Kindergarten gingen. Was für eine Verschwendung. Ich versuche, ihn noch einmal zu retten.
»Aber warum, warum, warum? Du wirst doch niemals wieder in deinem Leben mit diesem 18-was-weiß-ich-Chip was zu tun haben. Hallo? Wir haben nicht mehr 1977.«
Auf einmal hört Nick auf zu lachen und schaut ernst, fast traurig.
»Du weißt doch: Ich bevorzuge die Vergangenheit. In der sogenannten Gegenwart fühle ich mich nicht wohl.«
Ich habe ihm dann noch geholfen, die RCA Studio 11 wieder auszustöpseln und das Tape in der Dörrmaschine zu wenden. Als ich ging, gab er mir seine Autoschlüssel und hielt mir wie ein guter Gastgeber die Tür auf. Draußen zwitscherten schon laut die Vögel. Wir hatten erfolgreich sieben Stunden lang nicht an John und sein Schicksal gedacht. Nick streckte die Hand zum Bikergruß aus.
»Bis morgen.«
»Ja, bis morgen, Alter.«
Als ich den Dienstwagen aufschloss, sah ich nochmal hoch zur Tür. Nick hob etwas unsicher die Hand. Da habe ich ihn das letzte Mal gesehen.
#09 T-8: 02:24
Fuck - wer ruft denn mitten in der Nacht an? Und dann auch noch auf dem Festnetz. Das kann nur Mutter sein, kein anderer benutzt die Nummer noch. Wahrscheinlich steht am Sonntag wieder ein furchtbar harmonisches Kuchenessen mit BigSis, meiner Schwester, sowie ihren lieben kleinen Monstern an, Itchy und Scratchy. Dieses Gebrüte nimmt langsam echt überhand, alle Leuten denken, die Welt mit ihren Genen beglücken zu müssen. Naja, wenn die Kinder dabei sind, muss ich wenigstens nicht reden. Fuck - komme ja schon. Ich krame das Handset unter einem Stapel von Pizzakartons raus und schaue zwischen den Jalousien durch. Okay, es ist vielleicht nicht mehr ganz Nacht, eher so Mittag. Abheben.
»Hmja?«
»Morgen, Kee.«
Es ist Sabina. Seit fünf Jahren redet sie mich nur noch mit meinem Login-Namen an, wahrscheinlich, weil sie denkt, dass wir auf diese Weise auch total gute Kumpel werden. Dabei verstehen Frauen das Kumpelding grundsätzlich nicht, es ist ihnen sogar suspekt, weil sie nicht begreifen, dass zwei Menschen von der Wiege bis zur Bahre zusammen rumhängen können und in dieser Zeit nur so viel sprechen wie zwei Freundinnen an einem Nachmittag. Sabina klingt gut, wie immer. Ich merke, wie mir das Blut unter anderem in die Wangen schießt. Was natürlich eine total unprofessionelle und unangemessene Reaktion ist, schließlich a) ist sie die Frau meines besten und einzigen Freundes und b) liebe ich sie nicht auf sexuelle Weise, sondern eher so melodramatisch Jack-und-Rose-mäßig. Echt seltsam: Da hat man jahrzehntelange im Netz so ziemlich alles gesehen, was es Menschliches zu sehen gibt, von dem » 2 girls 1 cup«-Zeugs bis
Weitere Kostenlose Bücher