Extraleben - Trilogie
zu irgendwelchen kranken japanischen Tentakel-Penetrationen samt anatomischen Risszeichnungen. Eigentlich sollte ich abgehärtet sein. Aber nein. Es reicht immer noch, wenn irgendeine Dorfbratze kommt, mit der man vor fünfundzwanzig Jahren mal auf der Kirmes geknutscht hat, und schon ist man so hot wie ein Zwölfjähriger, der in Papas Bücherschrank »The Joy of Sex« von Alex Comfort entdeckt und kaum noch schlafen kann, weil er sich fragt: Warum haben nur Neandertaler Geschlechtsverkehr? So sahen die Hippies in den Illustrationen nämlich aus. Ich versuche einen professionellen Einstieg. „Hi Sabina, was kann ich für dich tun?«
Super, Herr Callcenter-Agent. Ach ja, und das Gespräch werde ich aus Gründen der Qualitätssicherung mitschneiden. So werden wir niemals Kumpel. Stille. Wahrscheinlich checkt sie gerade im Display, ob sie auch die richtige Nummer gewählt hat.
»Ja, äh, ich wollte fragen, ob du weißt, wo Nick steckt.«
Jetzt bloß schön objektiv klingen!
»Klar, im Büro«, verkünde ich. Ach ja, und er lässt fragen, ob es dir recht ist, wenn er die nächsten siebzehneinhalb Jahre in seiner Geek-Grotte von Quaxi-Fröschlis lebt und vor sich hinlötet, bevor er das nächste Mal wieder nach Hause kommt.
»Ach so, habe ich mir schon gedacht«, murmelt sie. Hast du nicht. Du hast dir Sorgen gemacht, wie eine gute Ehefrau das halt tut. Im Hintergrund fängt das Kind an zu schreien, so richtig abstechmäßig. Aus meiner Sicht ein hochwillkommener Anlass, das Gespräch abzukürzen: Ich quäle mir ein Grinsen ab, weil man das ja angeblich am anderen Ende der Leitung hört, und gebe mir richtig Mühe, wie ein guter Freund des Hauses zu klingen. So nennt man jemanden, der sich nicht mehr dabei erwischen lassen darf, wie er der Ehefrau des Hauses auf den Hintern stiert. Also: Mundwinkel hoch, Freund des Hauses!
»Ha ha, ich hör schon, da ruft jemand Kleines«, jubiliere ich. Puh, knapp vorbei geschlittert am Wort »Erdenbürger«, das wäre vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen gewesen.
»Ja, stimmt«, sagt Sabina verlegen. Komm schon: Es ist noch nicht zu spät, den Sunnyboy raus zuholen. Gib dir einen Ruck, Kee, sei nicht so ein Idiot.
»Pass auf: Ich schau mal, ob ich ihn im Büro erreichen kann, und sag ihm Bescheid, dass er sich bei euch melden soll, okay?«
Na, geht doch.
»Das wäre nett«, sagt Sabina erleichtert, »okay, bis dann«.
»Ja, bis dann.«
Ich lege den Hörer auf die Basisstation und schaue raus. Der Ausblick ist derselbe wie seit fast zwanzig Jahren. Fuck, warum sind alle Jahresangaben mittlerweile zweistellig? Unter dem Balkon geht die verkehrsberuhigte Straße vorbei, auf der anderen Seite steht die Weide, noch weiter dahinter brutzelt die Sonne auf die Balkone des Seniorenstifts. Draußen gesessen hat da noch nie jemand, die Oldies mögen es ja nicht so warm. Sabina hat schon recht: Dass er sich gar nicht meldet, ist komisch.
»Die Brötchen mit auf die Tankrechnung?«, krächzt die nette MILF vom Tanken-Bistro. Ihre Stimme klingt so, als hätte sie früher die Durchsagen beim Autoscooter gemacht. Ein goldener Anhänger mit irgendeinem Sternzeichen baumelt über dem faltigen sonnenbankgebräunten Brustbein. Ich traue mich nicht, hochzugucken, weil ich dann wieder denke, dass sie aussieht wie Rod Stewart. Tja, Brötchen mit auf die Rechnung oder nicht? Das hat bestimmt eine fatale Wirkung auf meine persönliche Steuerbelastung, wenn ich jetzt das Falsche sage. Nick, wo bist du, wenn man dich braucht? Seit wir so richtige Angestellte sind, kennt er sich mit dem Steuerkram super aus. All die Jahre, in denen wir nur rumgehangen haben, hat er sich wohl nichts sehnlicher gewünscht als ein festes Anstellungsverhältnis. Damals waren wir ja überall nur Aushilfen, an der Uni, bei der Zeitung. Ich fand immer, dass es besser klang, wenn wir »Projektarbeiter« dazu sagten, aber Nick meinte, dass klänge zu sehr nach Scheitern.
»Die Steigerung von Losertum ist doch: Projekt - persönliches Projekt - obdachlos«, meinte er. Nein, er wollte es deutsch, solide und unbefristet. Nie wieder Aushilfe, Projektarbeit oder was auch immer. Und eine ganze Weile lang schien sein Traum zum Greifen nah.
»Moinsen!«, dröhnt es vom Eingang rüber. Vier Handwerker stapfen lachend auf den Bistroschalter zu. Alle tragen schwarze Overalls mit neonroten Warnwesten. Ihre fleischigen Unterarme sind tiefbraun gebrannt, aber nur genau bis zum Rand ihrer schwarzen TShirts, drüber sind sie
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